Der aufwändige Weg zu einem guten authentischen Remastering

Erstellt von:
30 Oktober 2015
In Blog
2.983 AUFRUFE

Die Nachbearbeitung (Remaster) und Wiederveröffentlichung von analogen Originalbändern nimmt rasant zu. Nicht nur im Klassik Genre, auch Archivbänder früher Pop/Rock Alben werden hervorgeholt, digitalisiert und einer Frischzellenkur unterworfen. Dabei überzeugt das Ergebnis aber nicht immer. Wo hört die Restauration auf und wo fängt die Manipulation und somit die Verfälschung des Originals an? Welche Prozesse sind heikel, wenn es darum geht den originalen künstlerischen Gehalt der Aufnahme zu erhalten und nur die Limiten und Mängel der damaligen Aufnahmetechnik zu eliminieren?

Im Blog „Die Fragilität des analogen Audiotransfer in die digitale Domäne“ habe ich die Problematik des Transfers von analog zu digital beschrieben. Ist das Band und die Bandmaschine kalibriert und somit ein guter Signaltransfer gewährleitet, kann mit der A/D-Wandlung und dem Remastering begonnen werden. Ebenfalls ein heikler Prozess.

Als Beispiel soll das Maria Callas Remastering Projekt der Kompletten Studioaufnahmen von 1949 bis 1969 dienen. Diese Arbeiten wurden durch ein kleines Spezialisten Team in den berühmten Abbey Road Studios durchgeführt.

maria-callas-box-set

Gesamtausgabe der Remaster-Version von Maria Callas

Warum ein erneutes Remastering?

Diese analogen Aufnahmen wurden in den 80er Jahren nach der CD-Einführung digitalisiert und 1997 zum 20 jährigen Todestags von Maria Callas als Remaster erneut auf den Markt gebracht.

In den 80er Jahren mussten die digitalen Signale noch auf Videobänder aufgezeichnet werden, da damals keine anderen Möglichkeiten vorhanden waren. 1997 wurde auf dieser digitalisierten Basis wieder eine bearbeitete Neuauflage herausgebracht.

Die 2014 veröffentlichte, dritte Neuauflage basiert nicht mehr auf einer bereits digitalisierten Version, sondern auf den originalen analogen Studiomasterbändern. Dadurch ist gewährleistet, dass man wirklich eine authentische Aufnahme als Basis hat. Denn man weiss nicht was in den vorherigen digitalen Versionen alles verändert, retuschiert wurde. Es ging auch darum die in die Jahre gekommenen analogen Tonbänder möglichst original in die Zukunft zu retten, da diese mit zunehmendem Alter immer mehr zerfallen und irgendwann nicht mehr abspielbar sind.

Zudem kann man mit heutiger Bearbeitungs-Software Verbesserungen vornehmen, die früher technisch nicht möglich waren. Arbeiten welche man bis vor ein paar Jahren so nicht hätte durchführen können. Nun stellt  sich die Frage wie weit darf man bei einem Remastering gehen, was ist der Sinn dieser Überarbeitung?

Sinn eines Remasterings

Auf die Frage ob man zu weit gehen könnte und man die technischen Säuberungsmassnahmen als eine Form des künstlerischen Eingriffs betrachtet, antwortet Allan Ramsay einer der Masteringspezialisten dieses Projekts: „Im Zweifelsfall verzichten wir auf eine Massnahme. Und wenn wir etwas gut restauriert haben, sollte es niemand als unzulässige Manipulation empfinden. Wir beseitigen einfach nur die Unzulänglichkeiten der Aufnahmeverfahren jener Zeit. Es geht uns nur darum, sozusagen Staub zu putzen und das Glas abzuwischen. Wir präsentieren die Aufnahme im bestmöglichen Licht und so, wie es sich die Künstler gewünscht hätten.“

abbey-road_allan-ramsay_2

Allan Ramsay Remastring-Ingenieur in den Abbey Road Studios

Voraussetzung für ein erfolgreiches Remastering

Es ist besonders wichtig, dass die Abhörlautsprecher und die Raumakustik des Remastering Studios von überragender Qualität sind erklärt Andrew Walter, ein weiterer Mastering-Ingenieur der Abbey Road Studios. Weiter führt er aus: „Wir bevorzugen Lautsprecher von Bowers & Wilkins, die den Klang nicht verfälschen und auch nichts beschönigen, sondern eine klare und unverfälschte Wiedergabe bieten, damit wir exakt hören und beurteilen können, welche Probleme auf dem Original Master vorhanden sind. Das versetzt uns dann in die Lage, mögliche Fehler mithilfe unserer State-of-the-Art Technik zu korrigieren.“

abbey-road_andy-walter_2

Andrew Walter Remastring-Ingenieur in den Abbey Road Studios

Die Schritte eines subtilen Prozesses

Der Remastering-Prozess läuft in mehreren Phasen ab. Die erste Aufgabe besteht darin möglichst viele Hintergrundinformationen zu recherchieren und alle Anmerkungen zur Originalproduktion zu studieren. Es ist ein Glücksfall, dass Abbey Road 1959 beschloss „Arbeitsakten“ zu jedem Projekt anzulegen. Darin wurden detaillierte Angaben zu den Aufnahmesitzungen festgehalten. Nicht nur über den Aufnahmeort sondern auch Notizen über etwaige Probleme wie unerwünschte Geräusche.  Oft stösst man ebenso auf Anweisungen des Produzenten, wie zum Beispiel zur Stereo-Aufnahme der Norma von 1960 in der Mailänder Scala: „Seiten 166 – 167 in der Partitur: Hoher Verkehrslärm. Bitte Rumpelfilter anwenden oder, falls erforderlich, Tiefensperre höher setzen, um so weit wie möglich zu eliminieren.“ Dies waren Anweisungen an den Mastering Tontechniker. Zu jener Zeit wurde das Band einer Tongestaltung unterzogen in dem man das Bass- oder Höhenfrequenzprofil nach den Vorstellungen des Produzenten justierte und etwaige Rauschfilter einsetzte. Solche Angaben sind für den Remastering-Techniker der mit Retouch™-Technologie arbeitet von unschätzbarem Wert, weil er in der Lage ist, Entzerrungsaufgaben auf eine elegante Weise zu lösen. Bei besagter Norma Einspielung trat bei der zweiten Strophe von „Costa Diva“ ein Geräusch auf. Da heisst es: „Bitte die identische Passage, [Partitur] S. 183, kopieren und einfügen“. Der Tontechniker hatte damals tatsächlich eine Kopie der Passage aus einer früheren Aufnahme angefertigt und diese anstelle, des geräuschgestörten Teils an dieser Stelle eingeklebt. Aber mit der Technik von damals war dies mit einem höheren Rauschanteil verbunden, was in diesem Take hörbar ist. Zum Glück hatte man das herausgeschnittene Stück am Ende wieder eingeklebt, so dass man es heute digitalisieren, das Störgeräusch entfernen und wieder an seine Stelle einfügen konnte. Dadurch wurde das Problem genauso gelöst, wie es sich die Tontechniker und die Interpreten damals gewünscht hätten, wenn sie die Technologie bereits gehabt hätten.

callas-transfernotes-from-mr-legge-1960

Seite aus der Arbeitsakte von der Aufnahme der Oper  Norma aus  der Mailänder Scala unter Tullio Serafin

Unzulänglichkeiten der LP-Technologie

Weitere Fehler, welche bei einem Remastering korrigiert werden, sind uns heute nicht mehr geläufig, da sie nur im Zusammenhang mit der Schallplattenproduktion relevant sind, denn Masterbänder zur Plattenherstellung müssen speziell bearbeitet werden. Eine bedauerliche Eigenschaft der LP-Technologie ist, dass der Klang durch „Innenrillenverzerrungen“ kompromittiert wird, je näher die Nadel an den Auslauf kommt. Aus diesem Grund mischten die Tontechniker gelegentlich am Ende einer Plattenseite dem eigentlichen Musiksignal hohe Frequenzen bei – ein Prozess, der als „Radiusausgleich“ bekannt war. Überhaupt standen die Produzenten damals vor schwierigen Entscheidungen um ein bestimmtes Material auf einer LP-Seite von theoretisch 25 Minuten Spielzeit unterzubringen. Denn die Rille ist ein effektives Abbild der Schallschwingungen. Das heisst, dass die Rille mit zunehmender Lautstärke immer breiter wird. So wurde dann entschieden, bestimmte Bassfrequenzen zu dämpfen um die Rillenbreite zu reduzieren. Diese Eingriffe wurden alle in den Aufnahmeakten verzeichnet und liefern den Remastering-Techniker heute wertvolle Informationen um diese wieder zu entfernen.

Auch die Tonhöhe gibt Anlass zur Besorgnis.  Laufgeschwindigkeiten waren damals nicht computergesteuert und somit der Willkür der Netzfrequenz und des Bandtransports ausgesetzt. Manchmal liefen während einer Aufnahmesitzung zwei Bandmaschinen gleichzeitig. Wenn diese unterschiedliche Geschwindigkeiten hatten und man die Bänder zusammenschnitt kam es zu Sprüngen in der Tonhöhe.

Die gewaltige Stimme der Maria Callas

Maria Callas wurde zuweilen für ihr Vibrato kritisiert. Walter Legge, ihr Produzent, kommentierte einmal humorvoll, man müsste zu den Platten auch Pillen gegen Seekrankheit verkaufen. Faszinierenderweise  weiss man heute, dass das Problem zum Teil auf Unzulänglichkeiten der damaligen Aufzeichnungstechnik zurückzuführen ist. Die Stimme der Callas war so mächtig, dass Mikrofone und Bandgeräte zuweilen überfordert wurden und ein elektrisches „Blubbern“ erzeugte. Deutlich ist dieses Blubbern zum Beispiel auf dem Fortissimo-Höhepunkt von „In questa reggia“ in der von Serafin dirigierten Turandot Aufnahme von 1957 hörbar.

Mit der Bearbeitungs-Software Retouch™ können solche Effekte sichtbar gemacht und entfernt werden. Dieses Blubbern ist in Form von kurzen senkrechten Linien auf dem Bildschirm sichtbar und können, wie bei einer Bildbearbeitungs-Software, entfernt werden ohne die Stimme der Callas zu beeinflussen und sie wieder so klingen zu lassen wie in natura.

cedar-retouch-maria-callas-ohne-text

So sieht ein Screenshot von der Bearbeitungssoftware Retouch™ aus. Die starke rosarote Spur ist die Stimme der Callas. Die dünneren wurmähnlichen Spuren darüber entsprechen den Obertönen. Die senkrechten Striche quer auf der Hauptvokalspur sind die Störgeräusche die sorgfältig mit Retouch™ entfernt werden.

Bei Recitals ergeben sich Probleme zwischen den einzelnen Arien. Als Trenner wurde damals von den Tontechnikern einfach Vorspannband zwischen die einzelnen Nummern eingefügt. „Auf einer LP wie Maria Callas sings Rossini and Donizetti Arias kaschiert das Eigengeräusch der Vinylspur die plötzliche Stille”, erklärt Ramsay. Aber wenn man es vom Originalband oder digital hört, irritiert diese Totenstille. Man musste also eine Raumkulisse mit dem Klang der Stille im Salle Wagram in Paris – dem Aufnahmeort – finden und wenn dies nicht möglich war musste man eine Raumkulisse aus dem Archiv ausfindig machen welche dem Aufnahmeort in etwa entspricht.

simon-gibson-abbey-road-studio-mit-masterband_2

Simon Gibson Mastering & Restoration Ingenieur in den Abbey Road Studios

Wir sehen mit welcher Akribie und Aufwand ein Remastering von statten geht, wenn man dem Original so nahe wie irgend möglich kommen möchte. Als Beweis, dass dies gelungen ist können die Äusserungen des noch lebenden Mastering-Technikers Robert Gooch, welcher damals beim Mastering mitgeholfen hatte, gelten. Dieser hat nach dem man ihm den zweiten Teil der Arie „Una voce poco fa“ vorgespielt hatte folgendermassen reagiert:  „Das klingt grossartig! Ich bin baff, ich bin wirklich baff. Ist das mein Originalband?“ … „Meine Güte, wir waren damals verdammt gut, nicht wahr?“. Weiter nach dem Abhören der Arie „Costa Diva“: „Meine Güte, da läuft mir der Schauer über den Rücken“. …“Es ist einfach fabelhaft. Ich bin absolut überwältigt“. …“Also, ich bin gerührt. Bei „Costa Diva“ war ich den Tränen nahe“.

Die heutige Digitaltechnik ist fähig alte analoge Tonbänder mehr als nur zu restaurieren. Die Softwareprogramme sind sogar fähig die durch die damalige Technik bedingten Unzulänglichkeiten zu überwinden. Das Resultat sind faszinierende Tondokumente. Das gelingt aber nur, wenn die Restauratoren einerseits gut dokumentiertes Archivmaterial vorfinden und andrerseits mit der nötigen Sorgfalt und Umsicht mit den mächtigen Digitalwerkzeugen arbeiten.

Gesamtausgabe der Remaster-Version erhältlich bei:

Bowers & Wilkins Society of Sound; Download

Qobuz; Download

Müller + Spring; CD