Emotionen und Spezifikationen. Über den Unsinn Geräte musikalisch zu nennen

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2 Dezember 2015
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Die objektive Beurteilung von hochwertigen Audio-Anlagen ist keine einfache Sache. Nicht selten wird einem Produkt eine absurde Klangeigenschaft zugeschrieben, werden Geräte mit der emotionellen Brille verzerrt wahrgenommen oder man fokussiert sich auf eine technische Spezifikation, die in der dargestellten Form keine Aussagekraft hat. Auch Fachzeitschriften stehen vor der anspruchsvollen Aufgabe  gehörtes mit Worten zu beschreiben, Klangeindrücke mit möglichst viel emotionellem Gehalt spannend zu schildern. Das kann eigentlich nur ansatzweise gelingen. In Testberichten gesellen sich dann zur Prosa die technischen Werte dazu, die das geschriebene ergänzen und untermauern. Etwas einfacher, aber trotzdem nicht unproblematisch, ist das zu evaluierende Produkt beim spezialisierten Fachhändler zu begutachten und zu hören.

Wie geht man nun am besten vor um das passende Produkt zu finden? Soll man technische Werte als Mass aller Dinge heranziehen oder doch nur einfach hinhören, gut finden was einem gefällt und die viel beschworenen Emotionen hervorruft? Beide Herangehensweisen, sei es über technische Werte oder Emotionen, haben Stärken und Schwächen und bergen Stolperfallen. Hinterfragen wir mal die beiden Aspekte kritisch und schauen welche Elemente für eine gelungene Produktevaluation eine tragende Rolle spielen.

Fidelity – die messbare Grösse

Im angelsächsischen Sprachraum wird mit „Fidelity“ die fehlerfreie, akkurate Wiedergabe oder Reproduktion (Kopie) eines Originals bezeichnet. Im Audio Bereich ist High Fidelity – HiFi – seit jahrzehnten ein Begriff. Es geht somit darum die Abweichungen von einer Referenz so gering wie möglich zu halten, respektive dem Original so nahe wie möglich zu kommen. John Bowers Leitsatz war dementsprechend: „das wenigste von der Musik zu verlieren“. Dieser Aspekt kann durch Messen diverser Parameter überprüft werden. Messwerte oder Spezifikation sind die so ermittelten und verifizierbaren Grössen.

Ein Audiosystem lässt sich mit folgenden vier technischen Parametern umfassend beurteilen:

  1. Rauschen
  2. Verzerrungen
  3. Frequenzgang
  4. Fehler im Zeitbereich

Die vier Hauptbereiche gliedern sich weiter:

  1. Rauschen (definiert die nutzbare Dynamik)
    1. Netzbrumm und Rauschen
    2. Rillenrauschen einer Schallplatte
    3. Eigenrauschen der Elektronik, elektronischer Bauteile
    4. Raumrauschen
    5. Crosstalk – das Übersprechen zwischen den Stereokanälen
    6. Fenster, Türen, Gegenstände, die bei lauter Musikwiedergabe mitschwingen
  2. Verzerrungen
    1. Harmonische Verzerrungen
    2. Intermodulations-Verzerrungen
    3. Quantisierungs-Verzerrungen
    4. Nicht-Linearitäten
    5. Hinzugefügte Frequenzen, die im Original nicht vorhanden sind
    6. Unterdrückte Frequenzen, die im Original vorhanden waren
    7. Veränderungen der Hüllkurve
    8. Verzerrungen von Frequenzweichen
    9. Überhöhte Lautstärke, die das System nicht verarbeiten kann (Peak Compression)
  3. Frequenzgang (Frequency Response)
    1. Gleichmässigkeit des Frequenzgangs
    2. Überhöhungen und Senkungen im Frequenzverlauf (Bässe / Mitten / Höhen)
    3. Mechanische Resonanz
    4. Akustische Resonanz
    5. Überschwinger in elektronischen Schaltungen (Ringing)
  4. Fehler im Zeitbereich
    1. Tonhöhenschwankungen
    2. Temposchwankungen
    3. Phasendrehungen
    4. Wow und Flutter (LP / Tonband)
    5. Jitter in digitalen Systemen

Messwerte stellen reproduzierbare objektive und vergleichbare Grössen dar. Alle Parameter zusammen können ein Audio Wiedergabesystem recht genau beschreiben, die Abweichungen zum Original quantifizieren. Das Problem bei den Messwerten ist ihr theoretischer Ansatz, das Aufteilen in unterschiedliche Bereiche. Will man die Messwerte korrekt interpretieren, soll aus diesen eine umfassende und gültige Aussage abgeleitet werden, sind einige Voraussetzungen zwingend:

  1. Die Messung muss korrekt und standardisiert erfolgt sein (Messfehler vermeiden).
  2. Die Bezugsgrössen müssen definiert sein, Messbereiche, Messbedingungen, Messgrössen und Messsignale, Messanordnung müssen dokumentiert sein, respektive mit den Messwerten zusammen genannt werden.
  3. Die verschiedenen Messparameter müssen zueinander in Beziehung gesetzt werden. Dies erfordert fundiertes technisches Wissen.

Nicht selten sind die technischen Angaben in Prospekten und Bedienungsanleitungen wenig Aussagekräftig. Eine Angabe über den Frequenzgang von 20Hz bis 20kHz ist unbrauchbar, wenn die Abweichungen von der Linearität nicht in +/-dB ebenfalls angegeben ist. Die Angabe über die Verzerrungen eines Verstärkers von 0.5% ist nutzlos, wenn nicht angegeben wird, bei welcher Frequenz und Ausgangsleistung gemessen wurde. Und wie wirken sich die Angaben nun auf unsere Hörwahrnehmung aus? 0.5% Verzerrungen bei 2kHz und bei -50dB werden anders wahrgenommen als 0.5% Verzerrungen bei 15kHz und -75dB. Harmonische K2 Verzerrungen schmeicheln dem Ohr und gaukeln ein reicheres Obertonspektrum vor. Im Gegensatz dazu werden Intermodulationsverzerrungen als unangenehm empfunden.

Die vollständige Auszeichnung der Messwerte und ihre richtige Interpretation sind somit die Schlüsselelemente in der Kategorie Messwerte. Zur schlüssigen Interpretation ist technisches Wissen notwendig.

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Gerätespezifikationen sind nur brauchbar, wenn die Messwerte mit zusätzlichen Angaben über die Bezugsgrössen versehen sind.

Hören und Emotionen – die subjektiven Grössen

Audio Produkte werden vom Hörer und Fachkritikern auch verbal beschrieben. Es wird versucht subjektive Wahrnehmungen und Hörempfindungen mit möglichst aussagekräftigen Worten zu beschreiben. Dabei treten einige Adjektive wie „musikalisch“ und „emotionell“  inflationär auf. Man liest und spricht von Raum- und Tiefenstaffelung, trockenen und schnellen Bässen, seidigen Höhen und knackigen Mitten. Während sich Fidelity primär über Messgrössen definiert, können Hörempfindungen nur durch hören erfahren werden. Sie sind somit subjektiv und nicht für Jedermann im gleichen Mass reproduzierbar. Jeder Mensch nimmt seine Umwelt leicht unterschiedlich wahr. Ebenso hat jeder Leser/Hörer einen Interpretationsspielraum, gibt es abweichende Vorstellungen was z.B. eine schnelle oder trockene Basswiedergabe ist.

Hörurteile und deren Beschreibung lassen sich in zwei Kategorien einteilen

  1. Das gehörte wird (soll) möglichst objektiv beschrieben (werden). Dabei geht es mehrheitlich um wahrgenommene Veränderungen, bedingt durch Austausch einer Komponente im System oder durch veränderte Aufstellung einer Komponente (dies gilt mehrheitlich für Lautsprecher). Empirisch belegt, werden zwei oder drei an der Hörsitzung teilnehmende Personen die Veränderungen mit recht grosser Übereinstimmung wahrnehmen. Oft ergeben sich aber unterschiedliche Einordnungen in das Bewertungssystem. Beispiel: man ist sich einig, dass sich die Basswiedergabe verändert hat. Hörer A empfindet die Bassperformance präziser, da aufgrund der veränderten Lautsprecher Position weniger Raumresonanzen am Hörplatz auftreten = weniger Bassenergie. Hörer B vermisst nun Bassdruck, empfindet das Klangbild zu dünn, da sich die spektrale Energieverteilung verändert hat.
  2. Der Hörer beschreibt die bei ihm ausgelösten Empfindungen und Eindrücke. Hier steht das Ganze auf sehr dünnem Eis, Subjektivität dominiert. Gemäss dem klinischen Wissenschaftler Albert Ellis gründen sich Emotionen – hier stark vereinfacht dargestellt – auf einem A-B-C Schema:
    A = Stimuli, Reiz, Informationen die auf unser sensorisches System einwirken (in unserem Fall das Hörsystem).
    B = kognitive Verarbeitung des Reizes unter Einbezug von Erfahrungen, Wertesystemen, Ansichten usw.
    C = die aufgrund der am Punkt B erfolgten Reiz-Bewertung ausgelöste Emotion.
    Zusammenfassend gesagt: Die ausgelösten Emotionen werden durch die persönliche Einstellung oder Erwartungshaltung gesteuert. In diese Kategorie lassen sich auch Placebo Hörwahrnehmungen und akustische Täuschungen einreihen.

Vor allem das Wort „Emotion“ muss als starkes und unerschütterliches Argument für vieles herhalten und wird als Beweisführung immer wieder in die Runde geworfen. Was kann es für Einwände gegen Emotionen die ein Anderer hat geben? Wir können seine Empfindungen ja nicht wahrnehmen – nur unsere eigenen. Emotion ist ein wahres Killerwort in einer Audio-Diskussion. Wird als Argument „dieses Gerät/Lautsprecher/Audio-Format/Album erzeugt bei mir keine Emotionen“ in die Runde geworfen, erübrigt sich jede weitere Diskussion (gilt auch für die positive Formulierung). Nur bewiesen ist damit gar nichts, es wurde nur ein subjektiver und zu akzeptierender Standpunkt durch ein Individuum manifestiert.

Was heisst denn eigentlich musikalisch? Ein weiterer Allerweltsbegriff der Audiobranche. Unter diesem Stichwort kann sich jeder vorstellen was er will. Den Begriff für ein technisches Element zu verwenden ist völliger Blödsinn. Wenn ein Prospekt einen D/A-Wandler als musikalisch charakterisiert, wie kling er dann? Was soll man sich darunter vorstellen? Nichts – oder was sie wollen!

All diese Wortbeschreibungen sind im Grunde nicht aussagekräftig, ja gar grösstenteils sinnleere Worthülsen. Sie können nicht als allgemeingültig erklärt werden.

Die Schlagworte „Emotionen“ und „musikalisch“ werden vor allem in Bereichen verwendet und von Protagonisten benutzt, die auf technisch weichem Untergrund operieren. Dies ist typisch für Produkte, deren Eigenschaften und Nutzen schwer zu fassen sind. Dazu gehört auch die breite Palette der Tuning-Produkte, deren Vorzüge – sofern sie denn vorhanden sind – nur gehörmässig fassbar sind. Die Vinyl-Schallplatte steht im technischen Vergleich in nahezu allen Parametern schlechter da als ein Tonbandgerät oder ein Digital-Format. Den Sound den die Schallplatte oder ein Röhrenverstärker produzieren ist weniger akkurat, weiter weg vom Original aber mit einem reichen K2 Klirrspektrum einhergehend und daher durchaus schmeichelhaft für unsere Ohren. Der Technokrat wird dem Vinyl-Freund mit technischen Aspekten das Fundament der analogen Überlegenheit gehörig demontieren und der Schallplattenfreund wird mit seinen Emotionen kontern. Case closed!

musical

Der vom Label 2xHD angepriesene Digital Transfer Prozess wird als der am meisten musikalische Prozess bezeichnet. Ein Musterbeispiel von Marketing Übertreibung. In Wirklichkeit verfälscht der Prozess das Original in erheblichem Mass. Überprüft man die Bearbeitungsschritte nach technischen Kriterien, erkennt man eindeutig, dass das Originalsignal in einen subjektiv gefälligen Sound verformt wird –  den alter Hifi-Geräte. Man hat am Ende nicht zwei Mal HD, sondern kein HD mehr.

Wo ist der Bezugspunkt?

Die wichtige Grundsatzfrage ist allerdings was als Original herangenommen wird. Hier gibt es zwei eigentlich erstaunliche Lager. Die erste Gruppe orientiert sich am originalen Klang eines Orchesters, den Schallinformationen die unsere Instrumente in Konzertsälen, respektive Innenräumen erzeugen. Die zweite Gruppe orientiert sich an der Hörerfahrung die ihnen ihre HiFi-Geräte/Systeme/Formate über die Zeit vermittelt haben. Es erstaunt kaum dass diese Gruppe vornehmlich aus Liebhabern traditioneller Technologien besteht.

Und wie soll man nun bei der Produktevaluation vorgehen?

Zugegeben, die obigen Ausführungen sind für den potentiellen Käufer von Audio Produkten eher ernüchternd, da sie mehr Fragen offen lassen als beantworten. Die technischen Aspekte sind nicht leicht zu fassen und die blumigen Beschreibungen oftmals nur heisse Luft und wenig aufschlussreich. Nun, ganz orientierungslos ist man dennoch nicht. Hier einige Tipps und Hinweise:

  • Es geht um Musik: also muss mit möglichst guten Aufnahmen gehört werden. Wie weniger gute Aufnahmen klingen kann gegen Ende der Hörsitzung überprüft werden. Aber auf keinen Fall sollte eine schlechte Aufnahme zur Beurteilung eines Systems verwendet werden. Man riskiert sonst, dass ein Fehler auf der Aufnahme einen Fehler im Audiosystem maskiert oder kompensiert.
  • Gutes Tonmaterial für Hörvergleiche ist essentiell. Eine schlechte Aufnahme klingt auf einer besseren Anlage noch schlechter! Man könnte zum Fehlurteil gelangen die Anlage sei schlechter.
  • Hören Sie kritisch und unvoreingenommen.
  • Die bisherige Hörerfahrung mit der bestehenden Anlage als Bezugspunkt in Frage stellen, offen sein gegenüber neuen unbekannten Klangerfahrungen. Neues kann zuerst irritieren, wie eine andere Interpretation eines Musikstückes. Man kann oft erst nach einer gewissen Eingewöhnungszeit das Gehörte richtig einordnen.
  • Wechseln sie zwischen kurzen Hörzeiten (bis max. 2 Minuten pro Titel) und dem Anhören ganzer Titel ab. Zu Beginn eher kurze Zeiten mehr Titel, bei der Endevaluation eher ganze, aber weniger Titel hören.
  • Möglichst ein breites Musik Spektrum verwenden.
  • Klassikaufnahmen neueren Datums sind eher als Referenz geeignet als eine durch Dynamikkompression verunstaltete Mainstream Pop-Aufnahme. Nur, wenn Sie nie klassische Musik hören, fehlt ihnen der Bezugspunkt zum Original und die Hörerfahrung mit dem Genre.
  • Infomieren Sie sich so weit wie möglich über die Herkunft einer Aufnahme. Ein HD-Format bedeutet nicht zwingend, dass die Aufnahme gut ist.
  • Bedenken Sie, dass die Schallplatte mit nur ca. 25dB Kanaltrennung eine leicht andere Positionierung der Lautsprecher notwendig macht als eine 100% Digital-Aufnahme die zwischen 96dB und 144dB Kanaltrennung hat. Die der Schallplatte zugesprochene bessere räumliche Abbildung ist nicht ein mehr an Rauminformation sondern entsteht durch eine breitere Abbildung der Klangkörper. Besonders bei Close-Mike-Aufnahmen, bei denen die Rauminformation meist völlig fehlt, respektive künstlich beigemischt wurde, macht sich dieser Effekt der geringen Kanaltrennung zunächst positiv bemerkbar. Hier wird aber eine mangelhafte Aufnahme nur besser dargestellt.
  • Ein anderer Klang ist nicht zwangsläufig ein besserer Klang. Eine neue Technologie muss nicht zwingend besser sein, das Resultat, der Vergleich mit dem Original zählt.
  • Ein Pop-Konzert ist als Original-Referenz weniger geeignet. Die PA-Anlage, der Austragungsort und die meist zu hohe Lautstärke beim Konzert sind ein akustisch unbrauchbares Vorbild.
  • Ein seriöser Fachspezialist führt Sie bedarfsgerecht durch das Sortiment und bietet mit den Vorführmöglichkeiten im Laden die Plattform für Hörvergleiche.