HD Realität 2016. High Res Audio: Dichtung und Wahrheit (Teil 3)

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5 Februar 2016
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Wie sieht die HD Realität nun aus? Im letzten Teil der Trilogie geht es um Aufnahmen aus den letzten Jahren. All diese Aufnahmen hätten als native, echte High Resolution Einspielungen realisiert werden können, da die Technologie verfügbar war. Sie finden ebenfalls einige Tipps und Hinweise, wie man vor dem Kauf echte von unechten HD Aufnahmen unterscheiden kann – es zumindest versuchen kann. Eine 100% sichere Evaluation ist vor dem Kauf nicht möglich. Es gibt aber durchaus Anhaltspunkte an denen man eine Aufnahme beurteilen kann. Und im Zweifelsfall und bei zu grosser Preisdifferenz zwischen HD- und SD-Version, sollte man die Letztere wählen.

Pop, Jazz, Klassik – ein uneinheitliches Bild

Als Einstieg die mustergültige HD Live Aufnahme von Beethovens erster Symphonie aus der Re-Sound Beethoven Serie. Die Live Aufnahme entstand in Wien im Dezember 2014 am Ort der Uraufführung der 1. Symphonie, die am 2. April 1800  im Palais Niederösterreich (Landhaussaal) stattfand. Dieses Album ist in vielerlei Hinsicht exemplarisch für akkurate Klangreproduktion – in technischer und künstlerischer Hinsicht.

a) Die Ausgangslage: Das Werk im Kontext der Entstehung. Hier Auszüge aus dem Booklet zum Album.

„Musik im Klang ihrer Zeit wollen wir Ihnen mit unseren Interpretationen bieten: den Möglichkeiten des historischen Instrumentariums wollen wir Klang und Aura jener Konzerträume hinzufügen, in denen der Komponist selbst seine Werke dirigiert und erlebt hat“.

b) Die Aufnahme: das Einfangen einer Atmosphäre.

„Unser Produzent Stephan Reh ist bemüht, die klangliche Besonderheit jedes einzelnen Raumes wiederzugeben: die weiche Fülle des barocken Landhaussaales, die kraftvolle Intimität des Eroica-Saales im Palais Lobkowitz, die Transparenz des Alten Universitätssaals, die trockene Klarheit des Theaters in der Josefstadt und die klangliche Größe des Redoutensaales, des damals größten verfügbaren Konzertraums Wiens“.

 c) Die Produktion: Als Live Mitschnitt stellt die Aufnahme eine integrale Momentaufnahme dar. Alle Musiker sind gleichzeitig da und spielen das Werk ohne Unterbrechung durch – abgesehen von den Pausen zwischen den Sätzen.

Das Re-Sound Beethoven Album transportiert somit ein Klangereignis in den Wiedergaberaum. Wir hören das Werk, wir hören den Aufnahmeraum, wir hören eine kohärente Einspielung. Auch der historische Kontext ist spannend. Ein Album mit hohem Repertoirewert. Der Kauf lohnt sich, selbst wenn man schon mehr als eine Aufnahme der Beethoven Symphonien hat. Das Album ist interpretatorisch und klanglich auf hohem Niveau. Die Re-Sound Konzertreihe mit Live Mitschnitten wird 2016 und 2017 fortgeführt.

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Bild 1: Re-Sound Beethoven, Symphonie Nr. 1, 3. Satz. Das Frequenzspektrum reicht bis in den Bereich von 37 kHz/-105 dB. Eine für Klassik zu erwartende, natürliche spektrale Energieverteilung und grossem Dynamikumfang. Die Musik lebt auch vom Spannungsverhältnis zwischen laut und leise, an- und abschwellend. (Grösser = auf Bild klicken)

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Bild 2: Landtagssaal, Palais Niederösterreich. Ort der Uraufführung von Beethovens 1. Symphonie und Aufnahmeort des Albums Re-Sound Beethoven – Symphonien Nr. 1 & 2. (Grösser = auf Bild klicken)

Was ist spannender als ein Gegensatz?

„Adele 25“, das am 20. November 2015 erschienene Album der britischen Sängerin Adele wurde in den USA in den ersten drei Wochen über 5 Millionen Mal verkauft. Das Album ist exemplarisch für eine Pop Produktion, die auf kommerziellen Höchsterfolg getrimmt ist. Trotzdem ist Adeles musikalisches Schaffen herausragend. „Adele ist […] eines der größten Talente, die das Insel-Königreich in diesem Jahrtausend zu bieten hat. Sie kann fabelhaft singen und noch viel bessere Songs schreiben.“ Christoph Dallach: Kultur SPIEGEL. Umso bedauerlicher ist was Produzent und Mastering aus diesen Aufnahmen gemacht haben:

a) Dynamikumfang gemäss DR Skala:

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Bild 3: Adele 25 (DR5) ist gegenüber dem Album Adele 21 (DR 6) nochmals um 1 bis 2 DR Grade pro Track geringer gemastert. Massive Dynamikkompression: die Abkehr vom Loudness War ist beim Produzenten des Albums noch nicht angekommen. (Grösser = auf Bild klicken)

Hören die Leute denn diese Verzerrungen nicht? Ist das möglicherweise gewollt – wenn ja, dann frage ich mich was diese Leute für Klangideale haben. Meine sind es definitiv nicht. Sind es Adeles Klangvorstellungen? Hören wir, wenn wir die Disc einlegen die Musik so „wie es der Künstler im Tonstudio gehört hat“? Natürlich nicht, denn das ganze Album ist nur als CD erhältlich – ist nicht im Streaming Abo verfügbar und auch als Download gibt’s nur die Single „Hello“. Hmm – somit ist keine HD-Version verfügbar. Daher auch nicht „so wie es der Kunstler..“? Lassen wir den Sarkasmus – auch als HD-Version wäre das Album aufnahmetechnisch – aus meiner Sicht – von minderer Qualität. Da würde auch ein HD Format nichts dran ändern. Im Gegenteil, das weitere HD Frequenzspektrum könnte die Klanghärte und Rauigkeit der Aufnahme noch deutlicher machen, Verzerrungskomponenten hätten mehr Raum um sich breit zu machen. Und von der Dynamik her nutzt selbst die SD-Version nur einen Bruchteil des verfügbaren Dynamikumfangs von 96dB (CD / 16Bit). Da sind 24 Bit pure Nutzlosigkeit.

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Bild 4: Adele 25, Der Titel „Hello“ zeigt Adeles Kreativität in einem poetischen und abwechslungsreichen Lied. Das Mastering macht daraus ein brüllendes Monster, die Stimme ist verzerrt, die Dynamik an den intensiven Stellen des Liedes bis zum Anschlag komprimiert. Schade! (Grösser = auf Bild klicken)

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Bild 5:  Paul Simon, Album Graceland, Titel „Diamonds on the Soles of Her Shoes”. (siehe Besprechung im Blog High Res Audio: Dichtung und Wahrheit Teil 2). Die grüne Kurve zeigt den Signalverlauf (Hüllkurve) der CD von 1986 und die rote Kurve das Remaster von 2012 (25th Anniversary Edition). Man sieht deutlich wie durch Pegelanhebung der leisen Signalteile und Limitierung der lauten Anteile die Kurvenform beim Remaster völlig deformiert wurde. Das sind die Folgen der Dynamikkompression. (Die grüne Kurve wurden zu besseren Vergleichbarkeit in der vertikalen Achse im Verhältnis zur roten Kurve grösser dargestellt. Wichtig in diesem Bild ist der Kurvenverlauf) (Grösser = auf Bild klicken).

b) Produktionsmethode. Die 11 Titel des Albums wurden in 10 verschiedenen Studios in Europa und den USA aufgenommen von ebenso vielen Toningenieuren. Gemixt wurde in drei unterschiedlichen Studios in Amerika und das Mastering wurde in den Sterling Sound Studios in New York gemacht. Wie lässt sich so ein kohärentes Klangbild erzeugen? Das Mastering Studio hat die Aufgabe aus den einzelnen Einspielungen und Takes ein in sich stimmiges Album zu erzeugen. Da wird erst mal kräftig eingedampft und manipuliert was die Technik hergibt – und die kann heute eine Fülle von Werkzeugen bieten. Es mag dann kaum erstaunen, wenn ein Aufnahmeteam nicht das allerletzte Quäntchen an Klangqualität sucht, da ja im Mastering sowieso noch vieles verändert und geformt werden kann und muss.

David Gilmour – Rattle That Lock

David Gilmour Gitarrist, Sänger und Songwriter, bekanntes Mitglied der britischen Rockgruppe Pink Floyd, hat sein neustes Album „Rattle That Lock“ am 18.9.2015 veröffentlicht. Es ist als CD und HD Download sowie als Vinyl LP erhältlich. Hier die Analyse von zwei Titel der 24/96 HD Version.

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Bild 6: Gilmour Rattle That Lock. Für ein Pop Album hervorragende DR Werte – DR13 und DR11. Mit solchen Werten macht eine HD Version Sinn. (Grösser = auf Bild klicken)

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Bild 7: Gilmour Rattle That Lock, Titel “A boat Lies Waiting”. DR 13. Der Frequenzgang ist bei 22kHz beschnitten. Auffallend ist der im mittleren Bereich des Tracks bei rund 18kHz limitierte Frequenzumfang. Gilmour hat für diesen Titel eine 18 Jahre alte Klaviersequenz verwendet (aufgenommen auf einem Mini-Disc Recorder). David Gilmour in einem Video über dieses emotionell starke Musikstück: Link: Video auf YouTube (Grösser = auf Bild klicken)

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Bild 8: Gilmour Rattle That Lock, Titel “Rattle That Lock”. DR11. Die höhere Energiedichte fällt auf. Der Frequenzbereich geht bis 35kHz, -102dB.  (Grösser = auf Bild klicken) 

Im Pop Bereich wird nicht – wie im Beispiel Klassik – ein Ereignis aufgezeichnet und im Hörraum zu Hause reproduziert. Bei Pop (und seinen Untergenres) entsteht das Klangereignis erst bei der Wiedergabe im Hörraum. Es ist in der integralen Form vorher inexistent. Das ist ein Aspekt dem sich eine Pop Band auch vor einem Live Konzert stellen muss. Oft müssen die Musiktitel für die Live Performance neu arrangiert werden, da sie in der Albumform live nicht spielbar sind.

Fazit: Diese beiden Beispiele sind exemplarisch für die unterschiedlichen Produktionsmethoden und klangästhetischen Ansätze im Klassik und Pop Bereich. Das Wissen über diese fundamentalen Unterschiede im Produktionsablauf ist zentral für die Einschätzung ob ein Album wirklich HD Kriterien erfüllt oder nicht. Ebenso hat dieser Produktionsaspekt Einfluss auf die Zusammenstellung der Audiokette im Wiedergaberaum.

Jazz Produktionen pendeln zwischen den beiden Extremen, sind aber meistens näher beim Klassik-Ansatz.

Echt HD oder echt umgepackt?

Wie lässt sich nun feststellen, ob das Investment in eine HD-Aufnahme gerechtfertigt ist? Sei es als Mehrpreis gegenüber der ebenfalls verfügbaren SD Variante (CD) oder als Neukauf eines Albums, welches man schon als CD oder LP hat. Hier einige Kriterien zur Beurteilung:

a) Provenienz: Die Herkunft und das Entstehungsjahr der Originalaufnahme sind ein wichtiges Indiz, ob es sich um eine native HD-Aufnahme handelt. Mit der Einführung der SACD um 2000 stand erstmals ein Speichermedium für eine höhere Auflösung als der Red Book CD Standard zur Verfügung. Und mit der Sonoma Workstation das Produktionsmittel dazu.

Grob können wir drei Phasen herleiten:

I) Analoge Periode vor 1983
II) CD Periode ab 1983 bis heute
III) HD Periode ab 2000

Es ist klar, das sind grobe Unterscheidungsmerkmale. Schon vor 1983 gab es digitale Aufzeichnungsgeräte (z.B. Sony PCM F1), welche die Informationen auf Videoband speicherten. Und auch heute ist es noch möglich – und es wird auch gemacht – mit analogen Aufzeichnungsgeräten zu arbeiten. Doch dies sind Ausnahmen von der Regel.

Kategorie Merkmale Provenienz / Zeitraum
Echte, native HD Aufnahmen Durchgängig mindestens im 88.2/96kHz – 24 Bit Format aufgenommen und produziert Neue Aufnahmen, ab ca. 2000, dominant PCM 24/96, auch DSD
HD-Minus a) Aufnahmen im HD-Format mit analoger Nachbearbeitungb) Analoge Aufnahme und Mischung, Zwischenspeicherung auf Tape, digitalisiert ab Stufe Mastering Neue Aufnahmen, die ein „Vintage-Klangbild“ aus der rein analogen Epoche anstreben
Subkategorien (erfüllen die strengen HD Kriterien nicht):
HD-Transfer Minimale Nachbearbeitung in einem HD-Format Analoge Tape-Aufnahmen oder Aufnahmen im 16/44.1 Format
HD-Remaster Analoge Aufnahme und Mischung, Speichermedium Tonband. Intensive Nachbearbeitung (Remaster) im HD-Format Aufnahmen deutlich vor 1983, aus einem rein analogen Umfeld. Werden oft als Studio-Master angepriesen
HD-Bluff Aufnahmen im 16/44.1 Format werden in einem HD-Container (24/96) distribuiert, ohne Nachbearbeitung Meist CD-Einspielungen ab 1983

b) Genre: Bei Klassik wird seit längerem mit hochauflösenden HD Formaten gearbeitet. Hier finden sich viele native HD Einspielungen. Auch hier gilt Aufnahmen nach 2000 können durchgängig im HD Format produziert sein. Ältere Aufnahmen gehören in die Kategorie HD-Transfer.

Auf Grund der anders gearteten Produktionstechnik im Pop Bereich arbeiten noch heute viele Studios mit  analogen Geräten und älterer Studiotechnik. Man trifft Zwischenformate wie 24/48 an. Es erstaunt daher kaum, dass vor allem ältere, aus der rein analogen Epoche stammende Aufnahmen von Top Künstlern als HD Transfer oder HD Remaster nochmals veröffentlicht werden. Hier liest man dann die Werbebotschaft „ so wie es der Künstler im Studio gehört hat“.

c) Informationen der Downloadportale: Hier gilt es zu unterscheiden zwischen der Angabe des Containerformates (z.B. 24/96) und des Aufnahmeformates (z.B. 24/88.2) Das Containerformat definiert die Auflösung, das Gefäss indem der Inhalt geliefert wird. Ein Gefäss kann zu gross, zu klein oder passend für den zu transportierenden Inhalt sein. Uns interessiert die Auflösung der Aufnahme. Portale wie eClassical oder Channel Classic liefern detaillierte Informationen zur Aufnahmetechnik. Informationen finden sich auch in den Album Booklets, die bei einigen Anbietern vor dem Download einsehbar sind. Bei Qobuz hat man erst nach dem Download Zugriff auf das Booklet.

Heute eher selten, aber zu Beginn der CD Epoche fand man verbreitet ein Buchstabentrio als Kennzeichnung des Produktionsprozesses: AAD, ADD, DDD. Sie erinnern sich. Aus heutiger Sicht wäre das zu wenig aussagekräftig, aber immerhin lassen sich HD-Transfers von analogen Quellen erkennen.

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Bild 9: Vorbildlich – das Schwedische Label BIS bietet unter www.eclassical.com hervorragende Klassik Aufnahmen an. Vor dem Download kann man im Booklet blättern. Auf der hintersten Seite stehen ausführliche Information zur Aufnahmetechnik und dem nativen Aufnahmeformat. (Grösser = auf Bild klicken)

d) Hörprobe: Vor dem Download sollte in jedes Album reingehört werden – egal ob SD oder HD. Nur, in der Regel stehen die 30 bis 60 Sekunden Ausschnitte nur datenreduziert im MP3 Format zur Verfügung. Bei 320kBs lässt sich die effektive Endqualität nicht erfassen, aber dennoch hört man einiges raus. 320kBs ist recht nah an der CD Qualität. Tonalität, Rauminformationen, Pegeldifferenzen und natürlich die Interpretation lassen sich einigermassen aussagekräftig beurteilen. Mit einem guten Kopfhörer sind auch Phasenfehler auf Grund fehlender Laufzeitkompensation hörbar.

e) Label: Vor allem die kleineren Labels stehen oftmals für konstante und hohe Qualität (z.B. BIS, Channel Classics, Stockfisch, ECM…). Kennt man ein Label aus Erfahrung, ist eventuell sogar das gleiche Aufnahmeteam oder Studio mehrheitlich mit der Produktion betraut, darf man durchaus einen Blindflug wagen. Andererseits, weiss man mit der Zeit wo Vorsicht geboten ist.

f) Informationen aus weiteren Quellen: Albumrezensionen in Fachzeitschriften können ebenfalls wertvolle Informationen über ein Album oder Neuveröffentlichungen liefern. Allerdings nicht in Bezug auf den Entscheid ob die HD Version lohnenswert ist. Die Website Dynamic Range Database http://dr.loudness-war.info/ stellt eine Liste mit über 88‘000 Alben zu Verfügung mit Angaben über den Dynamikumfang eines Albums.

Das Thema HD Audio wird auch in Zukunft spannend bleiben. Durch den Wegfall eines starren Duos von physischem Tonträger und passenden Abspielgerät können sich eine Vielzahl unterschiedlicher Formate am Markt tummeln. Nicht alles was machbar ist und angeboten wird ist sinnvoll. Wir bleiben dran.