Klangcheck: Digital, Vinyl, Digital-Vinyl

Vinyl Boom – Fakten und Hintergründe (Teil 3)

Erstellt von:
13 April 2018
In Blog
4.540 AUFRUFE

Einleitung

Normalerweise landen überholte Technologien im Museum und werden Bestandteil der Technikgeschichte. Sie bleiben höchstens noch bei einer kleinen Gruppe von Nostalgikern und Fortschrittsverweigerern im Gebrauch oder dampfen als Museumsbahn übers Land. Es gibt eine Ausnahme: die Vinyl Schallplatte, die sich in den Fokus der breiteren Öffentlichkeit zurückgemeldet hat. Das Ganze ist aber mehr als nur ein Retrotrend, der nach kurzer Zeit wieder aus der Mode kommt. Die Umsätze mit den schwarzen Scheiben steigen seit rund 8 Jahren. Der Vinylklang hat sich als ästhetisches Element, als alternative Klangerwartung gefestigt. Davon zeugen auch zahlreiche Software-Tools (Plug-Ins) für digitale Audioworkstations (DAW), welche die Klangeigenschaften der Schallplatte nachbilden. Das Ganze ist aber facettenreicher als es auf den ersten Blick erscheint. In einer Folge von Blog Artikeln beleuchten wir die verschiedenen Aspekte rund um die Schallplatte, wie

  • Das Wesen der Schallplatte, die Gründe für einen verblüffenden Trend (Teil 1).
  • Vinyl-Plug-Ins: drei Programme, die mit den Vinyl klangbestimmenden Parametern mehr oder weniger umfassend arbeiten (Teil 2).
  • Hörtest – Unterscheide zwischen Vinylklang und der Klangästhetik moderner Technik. Können Vinyl-Plug-Ins den wahren Vinylklang erzeugen und wo liegt der Nutzen (Teil 3)?

Fiktion und Wirklichkeit: Hörtest – Original, Vinyl und Vinyl-Emulation

Die Diskussionen über Vinyl kontra CD, oder allgemeiner ausgedrückt analog kontra digital Audio, dauern schon seit Beginn des numerischen Audiozeitalters, wird aber heute thematisch breiter geführt als im Zeitalter des Glaubenskrieges. Die Versachlichung der Diskussion führt auf beiden Seiten zu einer Entspannung und einem eher fruchtbaren neben- als gegeneinander. Dies weil

  • Digital den Software-Markt in allen Formen und Formaten zu 96% beherrscht, die Fakten sind klar.
  • Analog steigende Beliebtheit hat und sich somit nicht mehr im Modus Überlebenskampf befindet.

Analog Audio mit all seinen klanglichen Facetten und Fehlern wird heute als klangästhetisches Element empfunden, der entsprechende Gerätepark als Kult- und Nostalgieelement wahrgenommen. Vor allem im Pop Genre, aber kaum im Klassik Bereich, arbeiten Studios und Künstler vermehrt mit dem Soundempfinden analoger Zeiten. Dies kann mit Hard- oder Software erreicht werden. Worauf wir beim Thema sind.

Nach dem letzten, eher technisch abstrakten Teil der Vinyl-Boom-Trilogie geht es im Abschluss um Musik, um konkrete Hörerfahrung, vergleichbare Resultate: halten die Vinyl Tools ihr Produktversprechen aus digitalen Aufnahmen überzeugenden Vinylklang zu generieren?

Methodik

Bei Vergleichstests ist die angewandte Methode und welche Fragestellung beantwortet werden soll von zentraler Bedeutung. Dies gilt in hohem Masse auch für diesen Versuch Vinylklang künstlich zu erzeugen und das Resultat anschliessend zu vergleichen und zu bewerten.

  1. Was wird verglichen und von welcher Quelle (Ausgangslage) geht man aus?
  2. Welche technischen Faktoren werden berücksichtigt und wie werden die Werte für die Vinyl Emulation bestimmt?
  3. Welcher Bewertungsmassstab gelangt zur Anwendung?
Wiedergabesystem  
Lautsprecher Bowers & Wilkins 802D3 & DB2D
Endverstärker Classé Sigma mono
Vorverstärker / D-A-Wandler Classé CP-800
Music Server Aria
Kabel und Netzfilter Silent Wire
Kopfhörer Bowers & Wilkins P9

1. Quelle:

Hier haben wir gleich zwei Problemstellungen, nämlich –

  1. Von welcher Provenienz ist die Urquelle. Stammt der digitale und analoge Träger vom gleichen Master ab? Handelt es sich um eine rein analoge, rein digitale oder hybride Produktion und Speicherung.
  2. Wie wurde der originale Vinylklang generiert (Abspielsystem, Digitalisierung, Speicherung), den es mit der Emulation zu vergleichen gilt. Die Schallplatte muss digitalisiert in guter Auflösung vorhanden sein.

Die klangliche Bandbreite von Plattenspielern, Tonzellen und Phono-Vorverstärkern mit der obligaten RIAA Entzerrung ist gross. Somit ist es von Vorteil, verschiedene Platten von unterschiedlichen Abspielsystemen spielen und aufzeichnen zu lassen, um ein einigermassen repräsentatives (Klang) Bild zu erhalten.

Dank dem Einsatz von Matthias Böde von der STEREO Redaktion liegt für diesen Versuch eine bemerkenswerte Zusammenstellung von diversen Alben, Plattenspielern und Tonzellen in digitaler Form zur Verfügung: das Doppelalbum „Das STEREO Phono-Festival“. 16 Top-Titel wurden auf 16 Plattenspielern gespielt und mit einheitlicher Elektronik entzerrt, verstärkt und digitalisiert. Die 16 Musiktitel, liegen als SACD und als DVD-Rom mit 24/192 WAV Dateien zur Verfügung. Erhältlich im Softwarehandel und im STEREO Webshop: https://www.stereo-shop.de/stereo-phono-festival

Bild 1: „Das STEREO Phono-Festival“ Album mit reichhaltigem, 36 seitigem Booklet mit Erläuterungen über das Album, sowie die 16 eingesetzten Plattenspielern.

Bild 2: Die Idee hinter dieser Produktion: „Eine Tonträgerbox, auf der Plattenspieler aller Preisklassen ihren Auftritt haben.“ Die Signale der an der Brinkmann Edison Phono-Vorstufe angeschlossenen Plattenspieler wurden direkt vom Nagra Seven Digitalrekorder im 24/192 Format aufgezeichnet. Somit war der Digitalisierungspfad für alle Alben und Spieler identisch. Interessant ist auch Matthias Bödes Aussage: „[Musikdaten] erneut verlustbehaftet auf Vinylscheiben zu pressen, wäre nicht zielführend“.

Jetzt müssen zum Vergleich und als Grundlage für die Vinyl-Emulation noch die entsprechenden CDs oder Hi-Res Dateien zur Verfügung stehen. Dabei stellt sich die Frage nach dem ursprünglichen Aufzeichnungsformat, also ob die Abmischung, Speicherung und das Mastering in analoger, digitaler oder gemischter Form erfolgt ist.

Bilder 3 und 4: Rein analoge oder digitale Produktionskette

2. Vergleichsmethode und Werte für die Vinyl Emulation

Im Idealfall stammt die Digital- und LP-Version vom gleichen Pre-Master als Hi-Res Digitaldatei ab, da hier die Werte für Rauschen, Frequenzgang, Verzerrungen und Zeitfehler am besten sind.

Bild 5: Ein Vergleichstest lässt sich auf drei Achsen herstellen. Die Vinyl-Emulation wir ab dem digitalen Master erzeugt. Dabei kann allerdings auch eine analoge Produktionskette vorausgegangen sein.

Verglichen wird auf drei Achsen, wie im Bild 4 skizziert. Um die Werte für die Vinyl Emulation zu erhalten wird das digitale «Original» mit der Vinyl Version der STEREO Phono Festival DVD gehörmässig und messtechnisch verglichen. Vor allem die Messwerte für den Rumpel- und Rauschpegel, Kanaltrennung und harmonische Verzerrungen geben gute Hinweise, für die Einstellwerte der Vinyl Plugins. Da wir, wie gesagt, beim Vinyl System eine grosse Streubreite haben, muss dies für jeden Track individuell bestimmt werden. «Den» Vinyl Klang gibt es nicht.

In der Studiopraxis werden die Vinyl Tools nach künstlerischen Vorstellungen freier eingesetzt, als dies in dieser Testanlage der Fall ist. Bei letzterem geht es ja um die Fragestellung, ob mit einem Vinyl Tool täuschend echter Vinylklang emuliert werden kann. Und dies geht nur im Vergleich mit einem real erzeugten Vinyl Sound.

3.  Bewertungsmassstab

Als Beurteilungskriterium kommen messbare Grössen und subjektive Höreindrücke zur Anwendung. Die subjektive Hörbewertung ist immer geprägt durch die eigenen Vorlieben, Erwartungshaltungen und Einstellungen. Ebenso spielt das bevorzugt gehörte Musikgenre eine entscheidende Rolle. Klassik Aufnahmen mit grossen Orchestern, starren Satzfolgen sind auf Vinyl nur arg verlustbehaftet speicherbar. Im Gegenzug kann eine Close-Mike Pop Einspielung durch die Eigenschaften der LP an Homogenität gewinnen.

Für aussagekräftige Vergleiche müssen Pegeldifferenzen berücksichtigt, respektive mit dem Volumenregler kompensiert werden. Bereits geringe Differenzen von 1 bis 2 dB können die Wahrnehmung beeinflussen.

Grundsätzlich sind die Klangdifferenzen zwischen Vinyl (analog) und CD (digital) deutlich geringer, als in den anekdotischen Beschreibungen der beiden Lager hochstilisiert wird. Dies ist allerdings nicht zwingend allgemeingültig, denn die Auswahl der Musikstücke der STEREO Phono-Festival Disc – auf der dieser Vergleich basiert – ist in einem eher engen Genre-Bereich gewählt worden. Keine Klassik, kein Hardrock. Mit hochdynamischer, pegelreicher und komplexer Musik würden die Resultate weiter auseinander liegen.

Die vier Kandidaten

A) DOS – Piccolissima Serenata

Das Foné Label steht für aussergewöhnliche Aufnahmen, sowohl was das Repertoire als auch die Aufnahme- und Mastering-Technik anbelangt. Die Sängerin Eleonora Bianchini und der Cellist, hier spielt er Kontrabass, Enzo Pietropaoli interpretieren Picolissima Serenata, einen italienischen Evergreen aus den späten 50er Jahren. Das Stück wurde 1957 von Gianni Ferrio für Teddy Reno komponiert. Die Aufnahme erfolgte parallel auf einem rein analogen und digitalen Pfad und wurde als SACD und LP veröffentlicht. Es fand kein Mastering statt, was ideale Aufnahmebedingungen voraussetzt. Wir hören also eine unbearbeitete, natürliche Aufnahme bei der durch die Mikrofondistanz auch Raumanteile hörbar sind. Von der LP wurden nur 496 Stück für den Club496 gepresst.

Bild 6: DOS – Eleonora Bianchini und Enzo Pietropaoli

Bild 7: STEREO Phono-Festival Album

Um eine überzeugende Vinyl Emulation zu generieren, die einen Vergleich mit einer originalen Platte standhält, müssen die wesentlichen technischen Parameter mit dem Original innerhalb eines Toleranzbereiches übereinstimmen.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen LP und Digital ist der Dynamikumfang und somit das Kleinsignalverhalten.

Bild 8: DOS “Picolissima Serenata“ – Die Einlaufrille, respektive die zwei Sekunden vor Stückbeginn im Vergleich. Rauschen und Rillenrumpeln ergeben bei der LP Werte im Bereich zwischen -50 und -60 dB. Mit 16 Bit (CD) sind theoretisch 96 Bit machbar. In unserem Beispiel liegt der Geräuschpegel bei -79 dB, da es in einem Raum nie absolut still ist.

 

Im Bild 8 sehen wir, dass bei der LP/Vinyl-Emulation Signalanteile die leiser als rund -50 dB sind durch das Rauschen/Rillenrumpeln überdeckt werden und nicht mehr hörbar sind. Ein Dynamikumfang von 60 dB entspricht einer Bittiefe von 10 Bit.

Bild 9: Kleinsignalverhalten. Die Triangel in Piccolissima Serenata bei Spielzeit 40-57 Sekunden zeigt ein für Perkussionsinstrumente übliches hohes und intensives Obertonspektrum (blauer Rahmen). Das Ausschwingverhalten der Triangel Töne unterscheidet sich bei analog und digital deutlich. Im grünen Rahmen ist gut ersichtlich, wie die leisen Signalanteile im Rauschen verschwinden, bei der LP und der Vinyl Emulation in nahezu gleichem Mass.

Ein weiteres Kernmerkmal der Vinyl Schallplatte sind die harmonischen Verzerrungen, die bei der Wiedergabe entstehen und weit über das auf der Schallplatte geschnittene Frequenzspektrum hinausgehen. Üblicherweise wird der Frequenzgang beim Schneiden der Platte im Bereich um 19kHz begrenzt um die Schneidestichel – die heute rar und fast unersetzlich sind – zu schonen, respektive vor Überhitzung zu schützen. Die bei der Wiedergabe entstehenden harmonischen Verzerrungen reichen dann weit in den Ultraschallbereich hinein.

Mit der Vinyl Emulation lässt sich der bei 22 kHz begrenzte Frequenzgang der CD wie bei der LP durch Hinzufügen der harmonischen Verzerrungen erweitern.

Bild 10: Das 3D-Wasserfall Spektrum zeigt deutlich die harmonischen Schwingungen oberhalb von 20 kHz.

Klangbeurteilung: Die LP ist erstaunlicherweise fast 5 dB lauter als die CD – dies nur am Rande bemerkt, denn der Dynamikumfang ist mit DR15 (DR18 für die CD, ohne Pegelkorrektur) sensationell hoch. Nicht zuletzt der Verzicht auf Nachbearbeitung (Mastering) liefert hervorragende Resultate, in diesem Fall. Man muss allerdings berücksichtigen, dass wir es hier nur mit zwei, respektive drei, Instrumenten zu tun haben, wenn wir das Schlagwerk mitzählen, welches Eleonora zum Gesang spielt.

Im Vergleich zur parallel im DSD Format eingespielten Digital-Version, zeigt die Vinyl Variante eine breitere und flachere Abbildung der Stimmen. Enzos Kontrabass und Eleonoras Stimme sind in der digitalen Version klarer voneinander getrennt, so wie sie bei der Aufnahme nebeneinander standen. Diese für Vinyl typisch breitere Abbildung der Instrumente und Stimmen wird oftmals als mehr Raum interpretiert. Der mächtigere Auftritt dieser Breitenbildung hat aber nichts mit Rauminformation zu tun, denn dazu fehlt der Schallplatte die notwendige Auflösung im Kleinsignalbereich. Die Triangel klingt auf der CD heller, reiner. Ab LP ist das Nachschwingverhalten ausgeprägter, leicht rauer und kürzer. Der Kontrabass ist ab LP weniger sonor, runder.

Die Vinyl Emulation ist näher an der LP als am CD Original und zeigt das typische Obertonspektrum oberhalb von 20 kHz der LP. Die primären LP-Klangmerkmale sind auch in der Vinyl Nachbildung vorhanden.

B) Hoff Ensemble – Stille, stille kommer vi

Bild 11: Das umfangreiche Booklet zum Phono-Festival“ Album liefert Infos zu jedem der 16 Alben und Laufwerken.

“Acoustic Jazz Project” nennt das Norwegische Hoff Ensemble diese Einspielung. Entstanden ist ein akustischer Leckerbissen, von der Musik wie von der Aufnahmetechnik her. Eine Klangästhetik, typisch für das 2L Label. Die Aufnahme entstand in der Sofienberg Kirche in Oslo, mit glasklarer Akustik und stimmungsvollen, ruhigen Liedern. Instrumente: Piano, Trompete, Kontrabass, Schlagzeug und Singstimme für den hier besprochenen Titel. Das Albumcover ist eine Klasse für sich und unterstreicht die hohen Ansprüche der Künstler und des Labels und kommt definitv in der grossen LP-Version besser zur Geltung als in der CD/Blu-Ray-Ausgabe. Die Aufzeichnung fand im DXD Format 352.8 kHz/24Bit statt. Da der erweiterte Frequenzumfang dieses Speicher fressenden Formates nur Rauschen und sonst nichts zur Folge hat, wurde das Album im 192kHz/24Bit Auflösung runtergeladen, passend zum Format der Phono-Festival DVD. Die 180-Gramm-LP wurde im „Direct Metal Mastering“ Verfahren geschnitten, was ein hohe LP-Qualität erwarten lässt.

Bild 12a: Das Frequenzspektrum der 352.8 kHz DXD Aufnahme im 192 kHz Format zeigt Spektralanteile bis über 50 kHz hinaus und das beginnende DXD Rauschen ist ab 55 kHz sichtbar. Details siehe Bild 10b. Die Pegel oberhalb von 25 kHz bewegen sich im Bereich von -75 dB bis -100 dB.

Bild 12b: Zoombereich zwischen 20 kHz und 75kHz. Die den Farbcodes der Spektrumanzeige zugeordneten Pegel sind in der blau umrandeten Skala rechts im Bild ablesbar.

Bild 13: Die LP zeigt ein nahezu gleiches Spektrum. Rauschanteile sind bis 30 kHz deutlich sichtbar und Störkomponenten in Bereich von 60 kHz. Eine Digitalisierung mit 96 kHz wäre hier sinnvoller gewesen, da oberhalb von 48kHz kaum noch was vorhanden ist, ausser den schon erwähnten Störkomponenten.

Bild 14: Die Vinyl Emulation zeigt nahezu das gleich Spektrum, wie die LP Version, allerdings ohne Störkomponenten.

Bild 15: Die Phasenlage der DXD (192kHz) – und LP-Version zeigen deutliche Abweichungen voneinander.

Bild 16: Mit Tonal Balance Control lässt sich die tonale Ausgewogenheit einer Aufnahme beurteilen. Im Idealfall bewegt sich die Kurve in einer Sollbandbreite oder weicht davon nicht allzu weit ab.

Die Digital und Vinyl Emulation zeigen eine weitgehend gleiche tonale Balance – die gemessenen Werte werden über 10 Sekunden gemittelt. Bei der LP Variante ist der Einsatz eines Equalizers zwischen 2000 und 6000 Herz sichtbar.

Einmal mehr sehen wir, dass die digitale und analoge Version nicht vom absolut gleichen Master stammt, respektive unterschiedliche Bearbeitungsschritte für die beiden Versionen stattgefunden haben.

Bild 17: Tonal Balance Control Tool. Eine absolute Sollkurve gibt es hier nicht, sondern nur eine Bandbreite für einen repräsentativen Querschnitt von Aufnahmen. Das Tool bietet drei unterschiedliche Sollkurven. Hier nicht abgebildet die Kurve für „Bass Heavy“.

Bild 18: 3D Wasserfall Spektrum bei Spielzeit 1.33 – Melodieführende Stimmen sind Gesang und Trompete. Blaues Rechteck: Tonspektrum Schlagzeug Kick. Grünes Rechteck: Bass, mit Pegelabfall bei der LP.

Klangbeurteilung: Auffallend ist bei der LP das durchweg hellere Klangbild, bedingt durch einen weniger prägnanten, pegelmässig geringeren Tiefbass und die erwähnte Pegelanhebung im Frequenzbereich von 1800 bis 4000 Hz. Die digitale Version macht eindeutig mehr Druck. Bei Schlagzeug und Trompete fällt bei der LP ein leicht kehliges Timbre auf, das sich bei den mittleren Klavierlagen ebenfalls zeigt. Ansonsten sind tonal nur wenig Unterscheide feststellbar. LP und Digital sind auch gleich laut, was auf eine sehr sorgfältige Überspielung schliessen lässt. Vermutlich wurde der Basspegel zugunsten der Spielzeit von 50 Minuten reduziert. Übrigens, die Hi-Res Version des Albums ist als Download und Blu-Ray Audio Disc erhältlich.

Die Vinyl Emulation ist der LP Version tonal sehr ähnlich, mit einer ebenfalls leicht „dünneren“ Klangcharakteristik, die alledings weniger ausgeprägt als bei der LP ist, da auf einen Equalizer Einsatz verzichtet wurde. Auffallend ist das leicht faserigere Schlagzeug der beiden Vinyl Varianten im Vergleich zum digitalen Ausgangsformat, bei der das Becken/Hi-Hat reiner ausklingt.

B) Friedemann – Aquamarin

Der aus Freiburg im Breisgau stammenden Gitarrist und Songwriter Friedmann Witecka hat mit Aquamarin ein stimmungsvolles New Age Instrumentalalbum geschaffen. Auf Grund der guten Aufnahmequalität wurde das Album bei audiophilen Produktpräsentationen gerne gespielt. Eigentlich erstaunlich, denn das Original von 1990 ist zwar eine gute Analogaufnahme, aber die Abmischung/Master ist nicht frei von Kritik. Das von den Bauer Studios in Ludwigshafen 2014 gemachte Remaster zeigt deutliche mehr Feinheiten und Details, die Gitarre spielt einiges lebendiger. Aquamarin ist einer der drei Tracks auf dem Album mit einem fülligeren, komplexeren Klangbild.

Bild 19: Friedmanns Aquamarin, gespielt auf einem Rega Player.

Bild 20: Die LP stammt vom Original-Master aus dem Jahr 1990 ab, wie die Tonal Balance Control deutlich zeigt.

Auch der Klangvergleich zwischen der LP und 1990 CD zeigt die Abstammung vom gleichen analogen Master. Nur wenn sicher ist, dass der analoge und digitale Träger (Datei) wirklich vom gleichen Master abstammen, lassen sich aussagekräftige Klangvergleiche und –Beurteilungen über das Speicherformat selbst machen. Auch in der digitalen Welt sind Studios heute gezwungen differenzierte Master für Plattformen wie Radio, Streaming Dienste oder Download Anbieter zu erstellen. Ein bekanntes Beispiel ist Mastered for iTunes. Apple verlangt die Anlieferung in einem 24/96 Container, egal in welcher Produktionsauflösung ein Album hergestellt wurde, um es dann anschliessend in datenteduzierter Form anzubieten. Absurd! Im besten Fall unterscheiden sich die Master nur im Hinblick auf den Lautstärke Normpegel eines Dienstes. Aber nur schon das ist eine Falle bei Klangvergleichen, z.B. zwischen einer CD oder LP und einem Song gespielt ab Spotify, Apple Music oder Deezer.

Bild 21: Amplitudenstatistik für die drei Aquamarin Varianten. Auffallend ist der Dynamikunterschied zwischen der 1990 Digital-Variante und dem 2015 Remaster, der offensichtlich auf Grund der 5dB geringeren Durchschnittsamplitude zu Fehlinterpretationen führen kann.

Anmerkung: der mit Adobe Audition gemessene Wert für den verwendeten Dynamikbereich ist abhängig vom Maximalpegel. Wird der Pegel der 1990 CD um 2.5dB angehoben, ergibt dies einen Wert für die verwendete Dynamik von 32 dB.

Bild 22a und 20b: Spektrum der ersten 30 Sekunden von Aquamarin. Der abrupte spektrale Pegelabfall nach 20kHz bei allen vier Formaten (LP, CD 1990, Vinyl Emulation, Remaster 2014) lässt auf den Einsatz eines Brick-Wall-Filters für eine Samplingfrequenz von 44.1 kHz schliessen. Dies deutet an, dass die LP nicht vom analogen Master (Tonband), sondern von einem später digitalisierten (CD-)Master abstammt.

Bild 22b.

Klangbeurteilung: Im Gegensatz zu den beiden vorherigen Titeln handelt es sich bei Aquamarin um eine native Analogaufnahme. Somit sind CD und LP zu Beginn schon einander tonal näher. Dennoch sind die typischen Unterschiede, wie die breitere Abbildung der LP hörbar. Grosse Differenzen sind bei Friedmanns obertonreichem Gitarrenspiel auszumachen. Hier unterschlägt die LP systembedingt Feindetails, was dann wiederum zum vielbeschworenen warmen Vinylklang beiträgt. Dies wird erneut beim Einsatz der Schlaginstrumente (ab Minute 0:55) deutlich. Die Attacken sind in der digitalen Version akzentuierter, bei den Vinyl Varianten, also inklusive der Emulation, die ab dem 1990er Original abgeleitet wurde, besteht die Tendenz, dass die Übergänge fliessender sind, das Nachklingverhalten kürzer ausfällt.

Bild 23: Friedmann Witecka

D) Göteborgs Kammarkör Sjunger – Var nära mig

Bild 24: Skandinavischer Feinklang – Göteborger Kammersänger

Proprius aus Schweden zählt zu den audiophilen Labeln aus der Frühzeit der High-End-Audio Geschichte. Mit spektakulären Aufnahmen und Titeln wie „Antiphone Blues“ zeigte das Aufnahmeteam was machbar ist und hielt so den Mainstream Labels ihre Mittelmässigkeit vor Augen. Der Titel „Var nära mig“ (sei mir nah) verströmt Intimität und Ruhe, der Chor fügt sich fein gefächert und unspektakulär im Stückverlauf zu den Instrumenten und dem Sologesang hinzu. Matthias Böde schreibt poetisch im Booklet: „… [das] Sehnsucht verströmende Stück zieht mit seinem dezenten Swing sowie den warmen Farben den Hörer magisch an“. Das in der Göteborger Annedalskyrkan aufgenommene Album vermittelt eine subtile Akustik, der Raum ist hörbar, aber in der Tiefe nicht übermässig ausgebildet für eine Aufnahme in einer mittelgrossen Kirche, was auf eine nahe Mikrofonierung schliessen lässt. Gut hörbar sind die Bewegungen der Solosängerin, die offensichtlich, oder bedingt durch die Mikrofon Position, starke, teils fast sprunghafte Seitenbewegungen ausführt.

Bild 25: Die Spektralanalyse zeigt wenig Unterschiede zwischen den Varianten.

Mit Polardiagrammen lässt sich die Stereoabbildung einer Aufnahme darstellen und beurteilen. Sie bietet quasi eine Sicht aus der Voglepespektive auf die Lausprecherachse. Die Intesität und Richtung des Musiksignals ist in keulenförmigen Ausschlägen sichtbar. Anhand der roten und grünen Bereiche kann die Phasenlage des Signals beurteilt werden. Signalanteile in den roten Bereichen sind nur ein Problem, wenn das Stereosignal auf mono geschaltet wird, z.B. für den Rundfunk.

Bild 26: Polardiagramm und Phasenlage der CD-Version bei Spielzeit 30.00 Sekunden. Dies sind allerdings die Werte die mit analoger Aufnahmetechnik (Tonband) erreicht wurden. Die technischen Werte einer professionellen Tonbandmaschine mit 38cm/s Bandgeschwindigkeit übertreffen die der LP deutlich (Kanaltrennung, Gleichlaufschwankungen, Frequenzgang Verzerrungen)

Bild 27: Polardiagramm und Phasenlage der LP bei Spielzeit 30.00 Sekunden. Der grau ausgefüllte Bereich zeigt den Momentanwert und die Linie den über 1 Sekunde gemittelten Wert. Signalanteile im roten Bereich stellen ein Problem für die Mono-Kompatibilität dar, was zu Auslöschungen bei Mono-Wiedergabe (Rundfunk) führt.

Bild 28: Polardiagramm und Phasenlage der Vinyl Emulation bei Spielzeit 30.00 Sekunden mit reduzierter Stereobasis.

Bild 29: Zur besseren Lesbarkeit der Diagramme, hier die Abbildung von zwei in Mono aufgenommenen Instrumenten (Violine und Cello). Die Signale wurden jeweils zu 100% dem linken, respektive rechten Kanal zugeordnet. Zwischen Cello und Violine gibt es keine Korrelation, die Signalschenkel liegen somit exakt auf den L-R-Achsen und werden direkt aus dem linken, respektive rechten Lautsprecher wahrgenommen.

Der grüne Bereich stellt den maximalen Aufnahme- und Abbildungswinkel von +/- 45 auf der L-R-Stereobasis dar. Signale ausserhalb des grünen Bereichs werden direkt auf der Lautsprecherachse wahrgenommen und somit nicht mehr an ihrer originalen Position.

Bild 30: Hier das Gegenteil von Bild 27. Cello und Violine wurden mit 100% Überlappung zusammengemischt. Es entsteht ein Monosignal bestehend aus beiden Instrumenten. Der linke und rechte Lautsprecher geben ein identisches Signal wieder. Bei richtiger Aufstellung der Lausprecher und korrekt im Stereodreieck gewählter Sitzposition werden beide Instrumente genau in der Mitte zwischen den Lautsprechern wahrgenommen und spielen somit auf der gleichen (akustischen) Position.

Klangbeurteilung: Die Vinylversionen bildet leicht breiter ab, was sich besonders im Bass verdeutlicht. Insgesamt sind die Unterschiede zwischen den drei Varianten gering. Doch was besonders auffällt sind die in der CD Version hörbaren, teilweise sprunghaften und leicht irritierenden seitlichen Positionswechsel der Solosängerin. Diese „Wanderungen“ sind bei der Vinyl und der Vinyl Emulation weniger ausgeprägt und fliessender. Dies trifft auch auf die Chorpassagen zu, der sich insgesamt weniger in die Tiefe staffeln, die Stimmlagen fliessen ohne Trennlinien ineinander.

Fazit: Mit Vinyl Emulationen, besonders mit Abbey Road Vinyl, lässt sich die Vinyl Klangcharakteristik weitgehend, wenn auch nicht 100% deckungsgleich nachbilden. Ob nun original Vinyl und die Emulation emotionell gleichwertig sind, muss der Vinyl Liebhaber entscheiden. Hier dürfte dann aber die Selbstbeeinflussung (Self-Biasing) als Folge der über Jahre gefestigten Standpunkte und Hörpräferenzen das Urteil erheblich beeinflussen. Messauswertungen helfen hier den Pfad der Objektivität im Auge zu behalten, damit man nicht zu sehr ins subjektiv anekdotische abdriftet. Eine Vinyl Emulation kann Vinylklang erzeugen, kann digitalen Produktionen einen analogen Charakter verleihen. Der typische Vinylklang kann so auch mobil oder ab einem Musik Server genossen werden. Das ganze Vinyl Ritual mit dem Hantieren der schwarzen Scheibe, das Manipulieren am Plattenspieler, die Haptik von Platte und Cover bleibt aber zwangsläufig aussen vor.