Streaming: gibt es Klangunterschiede?

Vorsicht bei Vergleichen, Trugschlüsse lauern.

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29 Oktober 2018
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Zu Besuch bei einem Musikliebhaber mit einer hochwertigen Audio Anlage, kam spontan die Frage auf, warum ein Fleetwood Mac Album mittels Tidal über das Internet gestreamt deutlich anders klinge, als das gleiche Album ab CD gespielt?

Bei der heutigen Angebotsvielfalt an Musikquellen ist es schwierig, die jeweils optimale Quelle für den persönlichen Musikgenuss zu bestimmen. Dabei sind individuelle Ansprüche an Klangqualität, Repertoire (primär bevorzugtes Genre – Pop, Jazz, Klassik) und Nutzungsprofil massgebend. Zudem ist es nicht leicht sich durch die Formatvielfalt zu kämpfen und all die technischen Parameter schlüssig zu verstehen. Hört man nun, wie in der Einleitung erwähnt, Klangdifferenzen zwischen den Streamingdiensten oder zwischen Streaming und CD (oder der Musikdatei auf dem heimischen Server), stellt sich die Frage woher diese kommen.

Gehen wir dem Thema mal auf den Grund und nehmen für den Test den vom Bandmitglied Stevie Nicks geschriebenen Titel «I Don’t Want to Know» aus dem Fleetwood Mac Album Rumors. Welche Faktoren sind nun massgeblich klangbeeinflussend?

Bild 1: Fleetwood Mac Rumours. Das Album erschien 1977 als LP. CD Veröffentlichungen: 1987, 2002, 2004. Ab 2011 erschienen mehrere Remaster Versionen als Deluxe und Super Deluxe Editionen auf CD, DVD und Hi-Res Download.

Lautstärke Normalisation

Hier dürfte in den meisten Fällen der Hauptgrund für die wahrnehmbaren Unterschiede herrühren: die Lautstärke Normalisation der Streaming Anbieter. Hintergrund: Musiktitel weisen unterschiedliche mittlere Lautstärken auf. Im Verlauf der letzten 25 Jahre wurden Alben zunehmend lauter abgemischt (Stichwort Loudness War). Beim Spielen von Playlisten mit Titeln aus verschiedenen Alben ergeben sich von Titel zu Titel Lautstärkesprünge, die den Hörer zum Nachregeln der Wiedergabelautstärke zwingen. Mit der Lautstärke Normalisation übernimmt der Streaming Dienst (genauer die Software) dynamisch diese Nachregelung. Dazu wird ein Musikstück analysiert und ein Korrekturwert in Dezibel (dB) errechnet. Dies in Bezug auf eine definierte Referenzlautstärke.

Während der Dynamikumfang und die durchschnittliche Lautstärke (RMS-Amplitude) eines Titels absolut zur 0 dB Vollaussteuerung ist, wählen die Streaming Anbieter unterschiedliche, relative Werte (Referenz- oder Bezugslinien) für die Lautstärke Normalisation. Der Bereich schwankt zwischen -11 dB LUFS und -16 dB LUFS (Loudness Unit Full Scale). Die AES/EBU Empfehlung ist -23 dB LUFS. Spotify hat 2017 den Normalisations- Referenzpegel an den von Tidal und YouTube belegten Bereich angepasst (ca. -14 dB LUFS). Link zum Blog: Streaming trickst den Lautstaerke Wahn aus

Dies alles führt dann zu unterschiedlichen Korrekturwerten für die Lautstärke. An sich ist dies kein Problem, da ja in der Regel nur ein Dienst gehört wird und ob der nun ein Album mit 3 dB oder 5 dB korrigiert, ist von geringer Relevanz, da der Hörer mit dem Lautstärkeregler die effektive Abhörlautstärke bestimmt. Alle Titel werden ja mit Bezug zur gleichen Referenzlinie geregelt.

Das Problem entsteht erst beim Hörvergleich zwischen den Streaming Diensten einerseits und einem Streaming Dienst und der lokal gespielten CD. Dies auf der gleichen Anlage und bei gleicher Stellung des Lautstärkereglers. Vor allem zwischen der CD und dem Streaming Dienst können die Lautstärkedifferenzen erheblich sein. Und Sie wissen, je lauter ein Musikstück gehört wird, desto besser nehmen wir einzelne Frequenzbereiche wahr. Die lautere Version wird daher in der Regel spontan als die Bessere empfunden.

Testen Sie selbst. Auf der Website von Ian Shepherd, Mastering Ingenieur und Tool-Entwickler steht ein kostenfreies Mess- und Hörwerkzeug zur Verfügung: https://www.loudnesspenalty.com/#

Bild 2: Mit dem Loudness Penalty Analyzer werden die Korrekturwerte für die Lautstärke Normalisation verschiedener Streaming Dienstleister gemessen. Dazu wird das zu prüfende Musikstück in die Prüfsoftware geladen (WAV oder MP3 Format).

Mit dem Loudness Penalty Meter (Lautheitsstrafe) wird der Korrekturwert mit Bezug zur Referenzline gemessen. Der Clou ist nun, dass man die Korrekturwerte für die wichtigsten Anbieter messen und anzeigen kann. Dazu lädt man das zu prüfenden Musikstück auf die Website hoch. Die Wahrnehmung der Pegelunterschiede lässt sich auch gleich gehörmässig nachvollziehen. Das analysierte Musikstück kann direkt in der Messsoftware mit den entsprechenden Korrekturwerten gespielt werden. Durch hin- und herschalten zwischen den einzelnen Anbietern lassen sich die klanglichen Folgen der entsprechenden Pegelkorrekturen eindrücklich nachvollziehen.

Bild 3: Fleetwood Mac Rumours CD. Die Korrekturwerte für den Titel «I Don’t Want to Know», wenn er ab dem entsprechenden Streaming Diensten gespielt würde. Der schwarze Pfeil weist auf den aktuell angewandten Korrekturwert hin. Durch Klick auf einen anderen Wert in der Liste gelangt dieser zur Anwendung. Die Veränderung des Höreindruckes durch Pegeldifferenzen lässt sich so leicht nachvollziehen.

Bild 4: Korrekturwerte für die Rumors Remaster Version, die als Hi-Res bei Qobuz und Tidal verfügbar ist (Streaming & Download). Die Tidal Master Variante ist MQA codiert. Auf die Korrekturwerte haben die unterschiedlichen Codier-Verfahren keinen relevanten Einfluss. Man sieht die Remaster Version ist rund 1.1 dB leiser als die CD Variante. Ein Hinweis für solide Remasterarbeit ohne Loudness War auswuchs.

Unterschiedliche Master / Releases

In diese Falle tappen viele bei Klangvergleichen. Sei es zu Hause oder beim HiFi-Händler. Man spielt ein bekanntes Album, weiss aber nicht ob es die gleiche Veröffentlichung ist, die man bisher gehört und im Ohr hat. Dies gilt bei Klassik Aufnahmen, wie bei Jazz und Pop Titeln, die schon lange auf dem Markt sind.

Hier eine Liste der Rumours Veröffentlichungen. Viele Katalognummern stammen vom gleichen Master, aber bei weitem nicht alle.

Spektrale Differenzen – die Details visualisiert

Mit der Audio DiffMaker Software lassen sich zwei Musikdateien vergleichen. Die vermeintlich identischen Tracks werden pegel- und zeitmässig abgeglichen und ein Differenzsignal gewonnen. Sind beide Dateien identisch ist das Resultat null, die Spektralanalyse bleibt schwarz, bei der Hüllkurve im oberen Fenster erscheint ein grüner Strich (Beispiel +2 minus –2 = 0). Mit einer Analyse Software lässt sich das Differenzsignal dann beurteilen. Spektrale Differenzen sind frequenzbezogene Abweichungen zwischen den Musikstücken.

Vergleichen wir die Rumours CD mit den Qobuz- und Tidal-Streams (Titel: «I Don’t Want to Know»).

Bild 5: Qobuz Stream im CD Format im Vergleich zur gerippten Rumours CD. Das aus den beiden Dateien errechnete Differenzsignal liegt im Bereich um – 60 dB, somit auf einem recht tiefen aber dennoch hörbaren Lautstärkeniveau. Die Farben der Spektralanzeige im unteren Fenster sind ebenfalls ein Indikator für die Lautheit des Differenzsignals (Pegelabweichungen einzelner Frequenzen oder Frequenzbereiche der beiden Vergleichsdateien):

  • Violett = tiefer Signalpegel/geringe Unterschiede
  • Rot = mittleres Signalpegel/moderate Unterschiede
  • Gelb = hoher Signalpegel/deutliche Unterschiede

Bild 6: Qobuz Hi-Res Stream im Vergleich zum Hi-Res Download (ab HD-Tracks). Sehr geringe Unterschiede. Dennoch zeigt dies: die Qobuz Hi-Res Datei und die HD Track Hi-Res Datei sind nicht 100% identisch.

Bild 7: Qobuz Hi-Res Stream im Vergleich zum Tidal Master Stream (MQA codierte Hi-Res Variante). Tidals MQA-Variante weist deutliche Unterschiede zur Download und Qobuz Stream Version auf. Die gehörmässige Beurteilung finden Sie weiter unten im Text.

Bild 8: Nochmals Qobuz Hi-Res Stream im Vergleich zum Tidal Master Stream aus Bild 7, Spektralanalyse mit RX6. Auffallend ist der erhöhte Rauschanteil, bedingt durch den MQA Prozess.

Im Bild 5 ist beim Vergleich der CD mit dem Qobuz CD Stream in der Spektralanzeige ein deutliches Muster im obersten Frequenzbereich um 20 kHz sichtbar. Nochmals verdeutlicht in Bild 9, diesmal mit der RX6 Spektralanzeige:

Bild 9: Qobuz Stream CD Format im Vergleich zur gerippten Rumours CD mit einem speziellen Muster oberhalb von 20 kHz.

Dir orange Färbung bedeutet, dass die Pegeldifferenz (Lautstärke) dieses Frequenzmusters rund 30 dB höher ist als in den unteren Frequenzbereichen. Woher kommt dies? Die Lösung des Rätsels in den folgenden Bildern.

Bild 10: Der Qobuz Stream stammt offensichtlich von einem anderen Master oder aus einem alternativen Verarbeitungsprozess. Deutlich sichtbar: bei der CD-Rip Version wurde ein steilflankiges Brick-Wall Filter bei der A/D-Wandlung eingesetzt, während beim Qobuz CD Stream offensichtlich ein anderes, weniger steilflankiges Filter zum Einsatz kam, bei dem der Roll-Off Punkt bereits bei 20 kHz einsetzt.

Bild 11: Amplitudenstatistik der gerippten CD. (Erläuterung bei Bild 12).

Bild 12: Amplitudenstatistik des Qobuz CD-Streams. Die Qobuz Variante hat einen um 0.13 dB tieferen Spitzenpegel und keine mutmasslich geclippten Samples (bis an die 0dB Grenze reichenden Samples können bei der D/A-Wandlung zu Signalbeschneidungen beim zurückgewandelten, analogen Signal führen). Bei der CD-Rip Variante liegt der Pegel gnadenlos bei 0 dBFs an. Eine sehr geringe Zahl von Samples gelten auch als mutmasslich geclippt, also abgeschnitten. Die Zahl der gecilppten Samples ist allerdings zu gering, um wahrnehmbar zu sein. Der Dynamikumfang und der mittlere RMS Pegel sind praktisch identisch. Der einzig klangrelevante Faktor dürfte in der unterschiedlichen Filterauslegung liegen.

Hardware

Selbstverständlich sind auch die Abspielgeräte klangbeeinflussend. Bei Vergleichen sollte immer mit der gleichen Hardware gearbeitet werden, was nicht immer möglich ist. Ein Qobuz Stream über ein iPad und Airplay gespielt, klingt nicht gleich wie über Chromecast oder einen hochwertigen HiFi-Streamer. Dies gilt besonders für die Tidal Master Variante, bei der die Hi-Res Dateien MQA codiert sind. MQA ist keine lineare Hi-Res Datei. Der Ultraschallbereich wird vom hörbaren Bereich abgetrennt und in diesen hinein verschachtelt (gefaltet) um die Dateigrösse zu reduzieren. Die Tidal Desktop Anwendung macht die erste «Auffaltung/Unfold» auf 24Bit/96kHz und liefert somit das Frequenzspektrum bis 48kHz. Kommt nun zusätzlich ein MQA fähiger D/A-Wandler zum Einsatz, der auch bei reinen PCM Files mit den flachen MQA-Filtern arbeitet, die durch ihr Aliasingverhalten negativ auffallen, sind deutliche Klangunterschiede mit grösster Wahrscheinlichkeit hörbar. Das native PCM File wird in diesem Fall nicht optimal gewandelt.

Falls Ihnen der Begriff MQA nichts sagt, dann besteht kein Zwang sich schlau machen zu müssen. Das MQA Verfahren ist heftig umstritten und nach breiter Auffassung die Lösung für ein nicht mehr existierendes Problem (Internetbandbreite). Auch die Marketing-Aussage über die Korrektur des (angeblich) zeitlich unscharfen (Temporal Blur) Signals ist wiederlegt worden. MQA Ltd. (Bob Stuart) bleibt ungenau, wie diese Zeitkorrektur funktionieren soll (und ob auch hier ein effektives Problem besteht). Kurzum MQA ist auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit, Tidal ist der einzige namhafte Anwender. Daran ändern auch einige MQA CD’s aus Japan nichts.

Hörvergleich – subjektive Wahrnehmung

Fleetwood Mac

Werden die Pegeldifferenzen zwischen den Probanden akkurat ausgeglichen, bleiben die Klangdifferenzen in einem engen Bereich – nimmt man das erwähnte Fleetwood Mac Stück als Referenz. Die meisten Differenzen sind bei MQA im Vergleich zur Hi-Res FLAC Variante hörbar, was auch die Spektralanalysen zeigen. Das MQA Klangbild wirkt leicht rauer im Mittenbereich, weniger hochtonpräsent und weniger fokussiert. Meine Wahrnehmung deckt sich mit Hörbeurteilungen Dritter über MQA.

Léo Delibes – Lakmé

Wie sieht nun der Klangvergleich bei einer nativen Hi-Res Aufnahme aus? Das Fleetwood Mac Album ist ja im Original eine analoge Bandaufnahme von 1977. Das Album «Mirages» der französischen Sopranistin Sabine Devieilhe ist im November 2017 erschienen. Es ist bei Tidal und Qobuz als Stream verfügbar und bei Qobuz zusätzlich als Hi-Res Download im 24Bit/96kHz Format erhältlich. Nun, auch hier weichen die beiden Streams spektral voneinander ab, pegelmässig sind sie praktisch identisch.

Bild 13: Differenzspektrum des Qobuz PCM und Tidal MQA Streams. Spektrale Verteilung über einen Messzeitraum von 38 Sekunden

Bild 14: FFT-Analyse an der Cursor Position im Bild 13. Die Differenzen sind pegelmässig sehr gering. Sie treten über den gesamten Messzeitraum von 38 Sekunden primär im Bereich zwischen 2kHz und 4 kHz und ausgeprägt oberhalb von 10 kHz auf.

Bild 15: Differenz der Hüllkurven (Pegeldifferenz) des Tidal und Qobuz Stream, Ansicht 45 dB verstärkt.

Der nachtägliche MQA Prozess verändert eindeutig die originale Signalwellenform. Die MQA Befürworter bewerten dies als Klangverbesserung. Nach Auffassung des Autors ist das Gegenteil der Fall, was auch logisch und technisch gestützt ist. Bei Léo Delibes Blumenduett aus der Oper Lakmé fällt das Klangbild in den mittleren und hohen Frequenzlagen faseriger aus, die Fokussierung der beiden Sängerinnen weniger gut. Dies zeigt sich im Ineinanderfliessen der Stimmen deutlich. Nun, es gibt Leute, die diese Art der Klangabbildung als angenehmer empfinden, was subjektiv OK ist. Nur präziser, wie von MQA behauptet, ist die Darbietung nicht. Die Unterschiede sind allerdings sehr subtil und nur auf einem guten Audio System hörbar.

Vergleicht man den Qobuz Stream mit dem Qobuz Download stellt man fest, dass beide Dateien identisch sind. Die Betonung liegt auf Dateien. Das heisst der Stream wird aufgezeichnet und die Daten digital verglichen, somit ein Vergleich statischer Daten. Klangunterschiede können aber zur Laufzeit entstehen, bei der Digital-Analog-Wandlung und der Signalausgabe, abhängig von der Hardwarequalität. Dies analog zu einer CD, die in unterschiedlichen Geräten gespielt anders klingt.

Bild 16: Album «Mirages». Aufnahmesitzung auf YouTube mit Sabine Devieilhe, Marianne Crebassa mit Les Siècles unter François-Xavier Roth. Label : Erato.

Hardware

Eine vergleichbare Klangverschiebung wie bei den Streams ist beim Hardwarevergleich zwischen dem preiswerten Chromecast Audio Modul und dem Rotel T14 Streamer Tuner wahrnehmbar. Die digitalen Datenströme der beiden Geräte wurden mit dem gleichen D/A-Wandler (Classé CP-800II) in die analoge Welt transformiert. Es gab lediglich einen Unterscheid in der digitalen Anbindung, respektive Verkabelung, die beim T14 über SPDIF/Koax ging und beim Chromecast Modul über SPDIF/Optical. In beiden Fällen kamen hochwertige Silent Wire Kabel zum Einsatz. Das rauer klingende Chromecast Modul bekam die Daten über WLAN zugespielt und der T14 kabelgebunden über Ethernet.

Fazit

Die meisten Streaming Dienste arbeiten mit Lautstärke Normalisierung. Dies führt bei Vergleichen zwischen Dienst und der heimischen Sammlung auf CD oder Festplatte zu Klangverschiebungen auf Grund der Pegeldifferenzen. Unterschiedliche Master sind ein weiterer Grund. Zumindest Pegeldifferenzen können mit dem Lautstärkeregler ausgeglichen werden. Beim Spielen ganzer Alben führt die Lautstärke Normalisation zu einem Ausgleich zwischen schnellen, lauten Stücken und leiser getragener Musik. Dies kann die innere künstlerische Struktur (laut/leise Spannungsbogen) eines Albums beeinträchtigen. An diesem Problem wird zurzeit gearbeitet. Abhängig von der App oder der App-Version lässt sich diese deaktivieren. Klangvergleich müssen mit der notwendigen Kenntnis der technischen Stolperfallen geschehen, ansonsten drohen Fehlurteile.