«So hören wie der Künstler im Studio»

Warum dies oft nur ein trivialer Werbespruch ist.

Erstellt von:
16 April 2019
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«Hi-Res Audio mit 192/384 kHz Samplingfrequenz», «Studio Qualität», «näher bei der Musik», «so wie es der Künstler im Studio gehört hat», «Stream the Studio»– Schlagzeilen und Marketingaussagen die inflationär in allen möglichen Print- und Onlinepublikationen auftreten. Gemeinsam ist allen Aussagen, dass Sie ein Stück Übertreibung beinhalten – wobei Übertreibung auch als literarisches Stilmittel interpretiert werden kann – umso einen komplexen Gesamtaspekt in einem Satz zu vermitteln. Dass dies zu kurz greift, dürfte klar sein.

Bowers & Wilkins stellt hochwertige Audio Systeme her, primär Lautsprecher, aber auch immer mehr Lautsprecher mit integrierter Elektronik. John Bowers Leitbild war das wenigste der Musik zu verlieren, was mit dem Drang nach Übertragungspräzision gleichgesetzt werden kann. Johns Generation von Audio Ingenieuren in den Studios und bei den Herstellern von Aufnahme,- Speicher- und Wiedergabegeräten kämpften mit den Limiten der damaligen rein analogen Technik. Sie versuchten die Differenz zwischen der akustischen Realität und der Reproduktion zu Hause zu verringern. Heute ist diese Differenz theoretisch an die Grenze der Wahrnehmbarkeit geschrumpft. Trotzdem ist in gewissen Belangen ein Teil des Marktes weiter weg von einer realen, natürlichen Klangwelt als die HiFi-Generation der 70er und 80er Jahre. Was auch ein Teil des Vinyl-Revivals ausmacht.

«Bis vor kurzem zwangen technische Limiten die Musikliebhaber zwischen hoher Klangqualität und mehr Bequemlichkeit zu wählen, wenn es um trägerlose Musikwiedergabe ging. Heute, dank Hi-Res Audio, erhält der Konsument beides, kompromisslos. Letztendlich können sie ihre bevorzugte Musik so hören, wie [vom Studio, Künstler – Anm. d. Autors] beabsichtigt.

Wird der Traum Wirklichkeit?

Studioklang zu Hause und somit der verlustfreie Transport der Aufnahme in den eigenen Hörraum, war und ist das Ersehnte. «Stream the Studio» Synonyme sind somit das Versprechen den ultimativen Traum zu erfüllen. Paradox ist, dass mit Hi-Res Audio die verlustfreie Distribution (Weiterverarbeitung und Transport der Aufnahme) heute möglich ist, die Probleme – sprich Qualitätsverluste – nun aber an anderen Stellen entstehen.

In den 70er Jahren, als der Autor seine Schallplattensammlung Monat für Monat mit Neuem erweiterte, war das Klangniveau im Aufnahmestudio der Heilige Gral des klangbewussten Musikenthusiasten. Bereits mit Aufzeichnung des vom Mikrofon erfassten, durch das Mischpult geleiteten, Musiksignals auf Tonband entstanden Komprimierung-, Linearitäts- und Verzerrungseffekte. Mit jedem weiteren Produktionsschritt, wie Arbeits- und Masterbandkopien, Galvanisierungsprozesse und Pressvorgang, kumulierten sich die Fehler. Die letzte Verluststufe lag damals wie heute in der Wiedergabekette. Letztere kann und konnte man als Konsument wenigstens selbst beeinflussen.

Am Anfang: das Aufnahme- und Mastering-Studio

Im aufnahmemässigen Idealfall spielen alle Musiker gleichzeitig und das Aufnahmeteam platziert die Mikrofone optimal im Raum, fängt die Musik zusammen mit einem Teil der Raumakustik ein. Fehlerfrei spielende Musiker, perfekt eingesetzte Technik und gute Umgebungsvariablen erfordern minimale Nachbearbeitung der Aufnahme. Dies ist der theoretische Idealfall und trifft am ehesten bei Aufnahmen mit klassischer Musik zu, im Sinne der Dokumentation eines akustischen Ereignisses.

Konträr dazu stehen Aufnahmen aus dem Pop/Rock Genre aus den letzten Jahren. Die Zeiten, in denen eine Band ein Studio über längere Zeit gemietet hat und aus dem kreativen Rohmaterial kontinuierlich die Songs eines Albums geformt hat, sind weitgehend vorbei. Es wird arbeitsteilig produziert. Die Musiker spielen zeitlich und räumlich getrennt, der Mixing-Ingenieur montiert und mischt dann die Teilstücke (Stems) zu einem Ganzen. Danach korrigiert, manipuliert, optimiert, kreiert der Mastering Ingenieur nach Vorgabe des Produzenten und in geringerem Mass der Musiker das Endprodukt. Nach audiophilen Klangvorstellungen? Bei stark kommerziell orientierter Musik sicher nicht. Es geht um Verkaufszahlen, die oft aus der Masse der Hörer mit ihren Smart Phones und Earbuds generiert werden müssen. Die kleine Gruppe von Leuten mit ihren hochwertigen Audiosystemen stehen nicht im Fokus, auch nicht Klangqualität. Das Resultat sind übermasterte, dynamikkomprimierte Alben, die einfach nur laut von Anfang bis Ende sind, arm an klanglichen Feinheiten. Das Ganze dann noch in einen Hi-Res Container zu packen und mit «so wie es der Künstler im Studio…» zu bewerben ist zynisch. Im besten Fall heisst das gutes Rohmaterial in schlechter Endqualität mit edler Verpackung.

Stream the Studio in verlustfreier Qualität bedeutet in der Klassikwelt fantastische Klangerlebnisse. Im Pop/Rocke Genre hört man nun die Mastering Eingriffe umso genauer. Zum Glück fällt nicht jede Pop-Produktionen dem Hammer Dynamikkompression zum Opfer, aber leider immer noch zu viele. Es gibt leichte Anzeichen, dass es sich hier zum Besseren wendet. Zum Artikel: Streaming trickst den Lautstärke Wahn aus. Pop-Liebhaber hoffen im HD-Zeitalter anzukommen

Das Dazwischen: Träger und trägerlose Formate zur Distribution von Musik

Mit Einführung der Digitaltechnik im Produktions- und Verteilprozess von Musik konnten die Transportverluste kontinuierlich reduziert werden. Hi-Res Audio mit 24Bit Wortlänge und 96kHz Samplingfrequenz kann den gesamten Frequenz- und Dynamikumfang eines Musikstückes erfassen und akkurat speichern – auch die Information zwischen den digitalen Abtastwerten wird bei der D/A-Wandlung präzis rekonstruiert, egal ob bei 44.1 oder 96kHz. Digitale Kopien sind praktisch verlustfrei und können heute, dank Internet Distribution, ohne Zwischenschritt über einen Träger (CD), der nach dem physisch, optischen Prinzip arbeitet, zum Musikfreund gelangen. Studioqualität zu Hause ist realisierbar.

Das physisch, optische Prinzip der Compact Disc: Die 0-1-Information wird durch die Differenz zwischen den Vertiefungen und der Substratoberfläche gespeichert. Die Auslesung erfolgt durch die optische Abtastung dieser Differenz mittels Laser.

Am Ende: die Wiedergabekette

Nun, zum Glück gibt es genügend gute Aufnahmen in allen Genres aus mehreren Epochen. Ob nun die in der Aufnahme vorhandene akustische und künstlerische Qualität auch vollends hörbar wird, hängt von der verwendeten Wiedergabekette ab. Eine Erkenntnis, die seit den Anfängen des Stereo-Zeitalters mit Einführung der LP und Mikrorille Ende der 50er Jahre gültig ist.

Damals war klar, zwei Lautsprecher = Stereo. Röhrenradio und Musiktruhe war nur eindimensionaler Sound aus einer Ecke. Zwei Ohren, zwei Lautsprecher – das macht Sinn, denn nur mit zwei Ohren ist räumliches Hören möglich und nur mit zwei Augen perspektivisches Sehen.

RCA brachte ab 1958 die legendäre – und als CD Sammlung erhältliche – und noch heute beachtete «Living Stereo» Plattenreihe heraus. Stereo Wiedergabe war das technische Highlight der späten 50er und frühen 60er Jahre. In einem RCA Film wird die Technik als «Miracle» beschrieben. Hier der Film (YouTube, 7:46 Min, Englisch)

HiFi Werbung aus den 60er und 70er Jahren. Für wenige Jahre war auch Quadrophonie ein Thema, konnte aber primär wegen zwei konkurrierender Systeme nicht Fuss fassen. Die Akai Werbung zeigt ein 4-Kanal-Tonband und vier grosse Lautsprecher. Die zwei hinteren Boxen dienen auch als Lampensockel, was darauf hindeutet, dass auch damals die Lautsprecherpräsenz (oder Dominanz) im Wohnraum durchaus ein Thema sein konnte. Trotzdem, mit sowas war Mann Hahn im Korb – damals.

Die Wiedergabesysteme haben sich seit dieser Zeit enorm entwickelt, Digital Audio hielt in Studios und zu Hause Einzug. Der jüngste Schritt kam mit Computer basierten und trägerlosen Systemen (Streaming/Download von Alben). Das Aufbrechen von Tonträger plus passendem Abspielgerät beschert uns hochauflösendes Audio, aber auch einen Formatdschungel und einige Marketingübertreibungen.

Erstaunlicherweise nutzen heute weniger Musikfreunde das Qualitätsangebot, das die hochwertige Autoindustrie bietet. Ich denke da jetzt nicht an top Systeme mit Preisschildern im gehobenen fünfstelligen Bereich, sondern an preislich und klanglich gute Basis-Audiosysteme für zwei oder dreitausend Franken! Punkt. Systeme die von Vinyl bis Streaming alle Spielarten ermöglichen. Hier ein Beispiel.

Rotel A11 und CD11 mit einem Paar Bowers & Wilkins Lautsprecher aus der neuen Serie 600 – Modell 607. Der Systempreis liegt je nach Quellkomponenten zwischen CHF 1385.- (Streaming mit Tablet/Smart Phone) und CHF 2600.- (Streaming, CD-Spieler 575.-, Thorens TD190-2 Plattenspieler 640.-). Preise Stand April 2019 – Preisänderungen vorbehalten.

Doch ausgewachsene HiFi-Systeme brauchen etwas mehr Sorgfalt in der Aufstellung und etwas mehr Platz als ein kompakter All-in-One Punktstrahler. Nichts gegen diese Kategorie – es gibt sinnvolle Nutzungsszenarien, Einsatzszenarien und Orte wo diese Geräteklasse ideal ist. Bowers & Wilkins bietet mit dem Zeppelin ein für die Kategorie erfrischend gut klingendes Produkt. Und sein Nachfolger steht in den Startlöchern. Nur stossen all diese Kompakt-Konzepte irgendwann an ihre physikalischen Grenzen. Man kann zwar raumfüllenden Sound erzeugen, aber keine in der Breite und Tiefe gestaffelte, realistische Klangbühne produzieren. Holografische Darstellung oder eindimensionale Abbildung! Wenn dann das Lautsprechersystem noch auf Cola-Dosen-Grösse schrumpft, dann kommen noch massiv tonale Defizite dazu. Von «Stream the Studio» Qualität ist dann auch bei guten Aufnahmen nichts mehr zu hören.

Fazit:

«Get Studio Quality»: wirklich? Ja! Aber die Wiedergabekette muss einen Mindeststandard erfüllen und im Aufnahme/Mastering Prozess muss mit Bewusstsein für guten Klang gearbeitet werden.

In den 60ern galt – zwei Lautsprecher im Raum manifestieren den Aufbruch in eine neue Klangdimension. Heute scheint zu gelten: zwei Lautsprecher, das war gestern. Hippig farbige Klangdosen sind klein, leicht und mobil, das ist modern. Eine feine Sache für unterwegs oder draussen, aber im Wohnraum gibt man sich so mit einem äusserst bescheidenen Klangbild zufrieden. Der Künstler, die Musik verdient besseres und der Hörer hat mit einem ausgewachsenen Stereo-System eindeutig mehr Klanggenuss. Studioqualität zu Hause ist Realität, wenn die ganze Kette stimmt. Die Technik kanns und das auch mit modernen Wireless Systemen im ganzen Haus.