Irrungen und Wirrungen. Gibt es Klangunterschiede zwischen WAV und FLAC?

Erstellt von:
2 November 2016
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Verwirrend faszinierende Vielfalt. Mit Computer Audio (*siehe Definition am Ende des Artikels) eröffnet sich dem Musikliebhaber ein bunter Strauss von Möglichkeiten und Klangspektren. Musik ist heute mobil und gleichzeitig audiophiler denn je. In den Blütezeiten von LP und CD war die Sache noch einfach und schnell verständlich. Man entschied sich im Plattenladen für ein Album, die Aufnahme war hervorragend, gut oder weniger gelungen, aber daran liess sich eh nichts ändern. Fazit: kaufen oder verzichten.
Heute stehen vor dem Musikgenuss eine Fülle von Optionen für jeden Musiktitel bereit, zu deren Abarbeitung man vor dem Kauf gezwungen ist. Welches Format ist das Beste, was kann mein Abspielgerät wiedergeben? Aber halt – wieso kaufen? Oder doch nur mit einem Streaming Abo mieten? DIE Lösung für Zeitgenossen ohne besondere Ansprüche an Klangqualität, denn ein Gratis Abo in bescheidener MP3 Qualität erfordert keine Kopfarbeit. Was aber, wenn das Streben nach Perfektion im Zentrum steht? Wer eine hochwertige Wiedergabekette besitzt, möchte mit der bestmöglichen Software Qualität das Klangpotential voll ausreizen.

Die Qual der Wahl

Durch den Wegfall des starren Abspielgerät-passender-Tonträger-Prinzips lassen sich mit Computer Audio viele qualitativ unterschiedliche Tonformate und Vertriebswege realisieren. In der Folge entstand ein Wildwuchs und Überangebot. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht absehbar. Nicht alles was machbar ist, ist auch sinnvoll. Und oft wird das Gleiche in unterschiedlicher „Verpackung“ geliefert. Durch die zunehmend komplexeren Technologien fällt es dem Endnutzer immer schwerer den Über- und Durchblick zu behalten. Diese „Unmündigkeit“ nutzt die Industrie auch teilweise aus. Es schadet der Branche aber letztendlich mehr, wenn ein potentieller Kunde sich abwendet, weil er unsicher über den Mehrnutzen oder Genussgewinn eines Kaufs ist – egal ob bei Hard- oder Software. Inflationäre Gerätefeatures, verbunden mit exotischen Tonformaten deren Mehrgewinn im Alltag zweifelhaft sind, verursachen Stress beim Kunden der kaufen möchte und Verdruss bei denen die vor kurzem gekauft haben. Mit unseren Blogbeiträgen versuchen wir sachlich und fundiert Hintergrundinformationen zu Thema rund um die hochwertige Musikwiedergabe zu vermitteln. Dies soll helfen, die modernen Technologien einigermassen verstehen und beurteilen zu können.

Können zwei identische Dinge unterschiedlich sein?

Ein weiteres Feld für Konfusion – das wir im aktuellen Beitrag thematisieren – sind echte oder nur subjektiv wahrgenommene Klangunterschiede zwischen theoretisch identischen Musikdateien in den Containerformaten FLAC und WAV. (Basisinformationen zu Dateiformaten für Music Server finden Sie im Blog: Welches ist das richtige Datenformat für meinen Musikserver?).

Die auf der Festplatte gespeicherte Musikdatei besteht aus mehreren Komponenten die sich zusammen in einer „Verpackung“ befinden. Neben den eigentlichen Musikdaten enthält der Format-Container weitere Angaben über Format, Auflösung und Albuminformationen (Metadaten). Im Containerformat WAV werden die (CD) PCM Daten unkomprimiert und verlustfrei gespeichert. FLAC speichert die gleichen Daten, aber effizienter, sprich platzsparender. Man bezeichnet dies als verlustfreie Komprimierung, ähnlich wie eine gefaltete A4 Seite in einem C5 Briefumschlag. Genau wie beim Brief, der vor dem Lesen aus dem Umschlag genommen und entfaltet werden muss, müssen die gepackten Daten einer FLAC Datei vor dem Abspielen entpackt werden. Dies bedingt eine zusätzliche Verarbeitungsstufe im Rechner, die aber moderne, leistungsstarke Geräte mit einem Wimpernzucken erledigen.

Die zwei Grundansichten zum FLAC/WAV Thema sind:

a) FLAC und WAV Container haben identische Datensätze und klingen daher absolut gleich, basierend auf einer technischen Abstraktion (Bits sind Bits).

b) WAV klingt eindeutig besser als FLAC, basierend auf subjektiver Hörerfahrung.

Wer hat Recht?

Betrachten wir die Fakten und überprüfen das Thema auf mögliche Mythen und Anekdoten. Die zwei grundsätzlichen Fragestellungen sind:

a) Sind die Musikdaten in den beiden WAV/FLAC-Containern identisch (nachdem die FLAC Daten entpackt wurden).

b) Entstehen während der Wiedergabe der Daten, was den FLAC Entpackungsprozess miteinschliesst, klanglich relevante Fehler.

Damit der Vergleich aussagekräftig ist, müssen die beiden Dateien von der gleichen Quelle abstammen, respektive den gleichen Ripprozess durchlaufen haben. Da in der Regel die Daten von einer CD stammen, kann diese Forderung leicht erfüllt werden. Stammen die beiden Dateien aus unterschiedlichen Quellen, die WAV Datei wurde zum Beispiel lokal gerippt und die FLAC Datei stammt aus einem Download, kann nicht 100% garantiert werden, dass beide Dateien vom gleichen Quellmaterial abstammen (unterschiedliches Mastering, Release Date, Region..). Und somit auch keine schlüssige Aussage ob FLAC und WAV sich klanglich unterscheiden.

Der Autor hat daher eine CD nacheinander auf dem gleichen Rechner mit dBpoweramp einmal ins WAV und FLAC (5) Format gerippt. FLAC bietet unterschiedliche Kompressionsraten von O = keine Kompression bis 9 = hohe Kompression und geringste Dateigrösse. Der Standardwert ist 5 und bietet einen mittleren Kompressionsgrad und eine Reduktion der Dateigrösse von ca. 45%. Der FLAC Codier-Decodier-Prozess ist asymmetrisch, d.h. der Rechenaufwand beim codieren (einmalig) ist höher als beim decodieren (mehrmalig / Wiedergabe).

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Bild 1: Rip-Protokoll der beiden in unserem Beispiel verwendeten WAV und FLAC Dateien. Die Checksumme bestätigt, dass die beiden Datensätze identisch sind. Auf Bild klicken = grösser.

Das Ripprogramm dBpoweramp überprüft anhand einer Prüfsumme, ob die Daten 100% fehlerfrei gerippt wurden. Die Prüfsummen der in unserem Beispiel verwendeten Dateien sind identisch (siehe Bild 1). Somit stimmt die Ausgangslage. Gut zu wissen: Die Codierung der Daten und das Befüllen des Containers mit den Audio- und Metadaten erfolgt erst nachdem der eigentliche Ripprozess abgeschlossen ist. Somit ist der Ripvorgang der ersten Stufe immer der Gleiche, egal in welches Container-Format die Daten in der zweiten Stufe überführt werden. Ebenso werden Meta-und Audiodaten nicht ineinander verschachtelt. Jedes Element hat seinen eigenen Speicherbereich im Container.

Testmethode. Wie können die beiden Dateien miteinander verglichen werden.

Zwei exakt gleich starke Mannschaften eines Tauziehwettbewerbes kommen nicht vom Fleck, da sich die um 180 Grad entgegengesetzten, gleich grossen Kräfte aufheben.

Bild 2: Entgegengesetzte, gleich grosse Kräfte heben sich auf. 

In der Audiotechnik wird genau dieses Prinzip für den Vergleich von Audiosignalen angewendet. Beim sogenannten Ausnullen werden die beiden zu prüfenden Tonsignale addiert, d.h. zusammengemischt. Vor der Mischung wird eines der Beiden invertiert (gespiegelt), welches ist egal. Eine zuvor positive Halbwelle ist nun negativ und die negative Halbwelle entsprechend positiv (Bild 3).

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Bild 3: Welches der beiden Tonsignale gespiegelt wird ist egal. Auf Bild klicken = grösser.

Wenn nun kein Unterscheid zwischen den WAV und FLAC Daten vorhanden ist, muss als Resultat nach der Abmischung eine Null rauskommen, grafisch eine gerade Linie (die beiden Dateien werden zu einer Datei addiert (-L + +L = ΔL und -R + +R =∆R). Sind die Musikdaten nicht absolut identisch, dann zeigt die Grafik eine Wellenlinie (die Pegeldifferenz der beiden Signale).

Das Resultat – keine Glaubensfrage

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Bild 4: Die Nulllinie zeigt, dass beide Dateien identisch sind und somit auch gehörmässig kein Unterscheid vorhanden ist. Da das Resultat Null ist, ist die Line auf der dB Pegelskala rechts im Bild bei unendlich (∞) = leere Datei!. Auf Bild klicken = grösser.

Ist diese auch anderorts angewendete Testmethode zuverlässig und aussagekräftig? Sie ist es! Als Gegenprobe hat der Autor den Pegel des invertierten WAV Signals um 0.1 dB reduziert. Diese winzig kleine, für unser Ohr nicht wahrnehmbare Lautstärkereduktion bewirkt, dass die beiden Tonsignale nicht mehr identisch sind. Zwar bleibt die Wellenform unverändert, aber es besteht eine Pegeldifferenz, die beim Ausnullen als Differenzsignal erkennbar sein muss (Bild 5).

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Bild 5: Die Wellenlinie zeigt, dass beide Dateien NICHT identisch sind. Beachten Sie die Auflösung der vertikalen dB Skala rechts im Bild. Auf Bild klicken = grösser.

Das kurze Video zeigt grafisch und akustisch wie die Ausnullung zustande kommt.

Fazit

Der FLAC Prozess verändert die binären Daten in keiner Weise. Die FLAC und WAV Audiodaten sind identisch, der Komprimierungsprozess ist bitgenau. Auf der High-End-Anlage des Autors (Bowers & Wilkisn 803D3, Classé Elektronik, Aria Musik Server)  klingen die beiden Formate absolut gleich. Wenn nun auf einer andern Anlage feine Unterscheide hörbar sind, dann entstehen Verarbeitungsfehler zur Laufzeit (meistens erzeugt der Prozessrechner durch den zusätzlichen Rechenaufwand Fehler auf der Zeitachse). Oder anders ausgedrückt, die Anlage produziert die Hördifferenz. Genauso wie eine CD abgespielt über zwei unterschiedliche Anlagen anders klingen kann.

Somit ergeben sich folgende Schlussfolgerungen:

a) Ist der Ripprozess einer WAV oder FLAC bitgenau erfolgt, sind beide Daten in den Containern identisch.

b) Sind bei der Wiedergabe der im Punkt a) beschriebenen Dateien über ein Anlage klangliche Unterscheide wahrnehmbar, dann kann dies folgende Gründe haben:

  1. Verarbeitungsfehler der Anlage.
  2. Placebo Effekt. Vorgefasste Meinungen, Beeinflussung durch Dritte und die Erwartungshaltung des Hörers beeinflusst dessen Wahrnehmung. Man hört Unterschiede wo keine sind.

Wichtig ist, dass der Ripprozess einwandfrei ist, denn dann haben Sie eine korrekt gespeicherte Datei. Fehler auf dieser Stufe sind permanente Fehler. Fehler bei der Wiedergabe sind temporär und auf einer besseren Anlage nicht mehr vorhanden.

*Fussnote

Computer Audio: auf Festplatte gespeicherte Musik, die über ein Ethernet Netzwerk oder lokal über Digitalkabel an ein Wiedergabegerät (DMR / Streamer) übertragen, dort die Digital/Analog Wandler Stufe durchläuft und hörbar gemacht wird.  Der Begriff Computer Audio ist auf alle Geräte anzuwenden die mit Media-Player/Bibliothekssoftware (und ev. Rippingsoftware) und Festplatten arbeiten, egal ob diese äusserlich eher einem Computer oder einem HiFi-Gerät gleichen.

Music Server: Festplatten­-Gerät auf dem die Musikdateien gespeichert sind. Der Funktionsumfang eines Servers kann stark variieren vom NAS mit einem einfachem Server-Software wie „Twonky“ bis hin zum High-End Gerät mit eingebautem Vorverstärker.