Ist Bi-Wiring / Bi-Amping Geldverschwendung oder echte Klangverbesserung?

Erstellt von:
10 August 2018
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Die beiden Begriffe Bi-Wiring und Bi-Amping werden immer wieder kontrovers diskutiert und teilweise als nutzlose Geldabzocke bezeichnet. An doppelter Kabelführung (Bi-Wiring) und getrennte Verstärker (Bi-Amping) für den Bass und den Mittel/Hochtonbereich scheiden sich in der HiFi Szene die Geister immer wieder – oft in unversöhnlicher Art. Die einen berichten über sensationelle Klangverbesserung, während andere den Standpunkt vertreten, dass es zwar an einigen Stellen besser klang, aber doch insgesamt weniger homogen und oft harsch im Hochtonbereich sei. Doch was ist nun wahr und bringt es wirklich etwas und wenn ja was?

Der Lautsprecher als Generator

Um die Wirkungsweise und die Zusammenhänge besser verstehen zu können müssen wir ein wenig ausholen. Was geschieht, wenn ein Lautsprecher Töne von sich gibt? Der Endverstärker liefert ein Signal über ein Kabel an den Lautsprecher. Die Membrane des Lautsprechers beginnt zu schwingen und lässt so die Musik erklingen. Ein Lautsprecherchassis ist üblicherweise wie folgt aufgebaut: Eine Membrane auf einer Gummisicke aufgehängt ist am Ende des Konus mit einer sogenannten Schwingspule versehen. Diese wiederum taucht in einen Dauermagneten ein. Wird nun an diesem Lautsprecher ein Signal angelegt, fliesst ein Strom durch die Schwingspule und erzeugt ein Magnetfeld. Da diese Schwingspule in einen Dauermagnet eingetaucht ist ziehen sich die Magnetfelder an oder stossen sich gegenseitig ab, je nach der Polarität des Signals. Dadurch wird die Spule mit der Membrane nach vorne oder nach hinten bewegt. So weit ist alles noch klar und verständlich.

Was geschieht aber, wenn ein kräftiger Bassimpuls auftritt welcher abrupt aufhört, wie z.B. ein Schlag auf eine Trommel / Schlagzeug. Die Membrane erzeugt durch die Masse des ganzen Schwingsystems, welches wegen der Trägheit dieser Masse (physikalisch: Massenträgheitsgesetz) nicht abrupt gestoppt wird, eine Gegenschwingung. Zu dieser Masse gehört die Membrane, Schwingspule, Zentrierspinne und Staubkappe. Auch die Rückstellkraft der Zentrierspinne unterstützt diesen Gegenimpuls welcher durch die Bewegung der Schwingspule im Dauermagnet einen elektrischen Gegenstoss erzeugt. Dieser wird im Fachjargon als Gegen-EMK (Elektro Motorische Kraft) bezeichnet. Das Ganze wirkt in diesem kurzen Moment also wie ein Generator und wirkt dem weiter fliessenden Nutzsignal entgegen.

Bild 1: Prinzip des Magnetismus; fliesst Strom durch eine Spule in die ein Magnet eingetaucht ist, dann bewegt sich der Magnet, linke Darstellung. Beim Lautsprecher ist der Magnet fix, deshalb bewegt sich die Spule, an der die Membrane befestigt ist und so den Ton erzeugt. Auf der rechten Darstellung bewegen wir ein Magnet durch eine Spule, dadurch wir in der Spule ein Strom erzeugt, dies repräsentiert die Gegen-EMK.

Bild 2: Schematische Darstellung eines Lautsprechers, blau/grau = Dauermagnet, braun = Schwingspule, grau = Membrane, hellgrau = Staubkappe und gelb = Zentrierspinne. Nach einem Impuls auf den Lautsprecher schwingt das Membran- / Schwingspulen-System wegen seiner Masse (Massenträgheit) noch nach und erzeugt so die Gegen-EMK, was durch das Voltmeter symbolisiert ist.

Die Energie der Gegen-EMK gelangt schlussendlich in den Verstärker und wird dort durch seinen geringen Innenwiderstand vernichtet respektive fliesst nach Masse ab. Als Wert findet man in den technischen Daten nicht den Innenwiederstand des Verstärkers sondern die Angabe des Dämpfungsfaktors. Je höher dieser Faktor ist desto kleiner ist der Innenwiederstand. Dieser muss möglichst klein sein, damit die Gegen-EMK kurzgeschlossen wird und das Schwingverhalten dadurch noch zusätzlich abgebremst wird.

Bi-Wiring

Nun kommt das Bi-Wiring ins Spiel. Normalerweise ist der Lautsprecher mit nur einem Kabel am Verstärker angeschlossen. Das heisst, dass die sehr kräftigen Bässe und die teilweise sehr feinen und fragilen Höhen im selben Kabel zum Lautsprecher transportiert werden. Ausgelöst durch die vielen unterschiedlichen Frequenzen, welche die Musik ausmachen entstehen in diesem Kabel zusätzlich noch sogenannte Intermodulationsverzerrungen.

Was sind Intermodulationsverzerrungen?

Technisch gesehen besteht Musik aus viele unterschiedlichen Frequenzen. Diese verschiedenen Frequenzen können in einem System, welches eine nichtlineare Arbeitskennlinie aufweist (dies ist in einer Verstärker-, Kabel-, Lautsprecher-Kombination der Fall) durch Modulation von einzelnen Frequenzen Summen- und Differenz-Frequenzen bilden, welche so im Musiksignal nicht vorhanden sind. Dieses Verhalten nennt man Intermodulationsverzerrungen.

Was ist eine Arbeitskennlinie?

Ein System arbeitet auf einer Kennlinie, welche idealerweise eine gerade Linie darstellt. Der Arbeitspunkt verändert sich je nach Frequenz und Amplitude auf dieser Linie. In einem System welches Induktivitäten und Kapazitäten aufweist, wie in unserem System, verläuft diese Linie nicht gerade. Es entstehen Krümmungen. Verschiebt sich nun der Arbeitspunkt in diese Krümmung, dann entstehen die nicht gewünschten Modulationen.

Weiter wird über das eine Kabel welches der Verstärker mit dem Lautsprecher verbindet die Gegen-EMK vom Lautsprecher zum Verstärker geleitet.

Um sich diese abstrakte Materie etwas bildlicher vorzustellen, kann man sich das mit einer Strasse auf der LKWs, PKWs und Fahrräder gleichzeitig fahren vorstellen. Hier, und das kennen wir aus dem täglichen Leben, gibt es ein Gerangel und der stärkere verdrängt den schwächeren. Die LKWs repräsentieren hier die Bässe, die PKWs die Mittenfrequenzen und die Fahrradfahrer die hohen Frequenzen. Wenn jetzt noch ein Lieferwagen in der Gegenrichtung fährt wird der Verkehr ausgebremst. Dieser Lieferwagen entspricht unserer Gegen-EMK! Ist es da nicht wünschenswert dies zu entflechten?

Bild 3: Wenn der Lautsprecher mit einem Kabel mit dem Verstärker verbunden ist wird das ganze Signal durch dieses geleitet. Hier dargestellt durch LKWs = Bass, PKWs = Mittenfrequenzen und Fahrrad = Hohe Frequenzen (nichtrealistischer Idealzustand).

Bild 4: Mit einem Kabel gelangt auch die Gegen-EMK über dieselbe Leitung zum Verstärker. Hier sieht man, dass es  eng werden kann und die kleinen, sprich hochfrequenten Teile an den Rand gedrängt oder sogar vernichtet werden.

Genau dies tun wir, mit Bi-Wiring. Wir verwenden zwei Kabel und schliessen das eine am Anschlussterminal des Lautsprechers an den oberen Klemmen und das andere an den unteren Klammen an. Oben für die Mitten und Hohen Frequenzen und unten für die Tiefen Frequenzen.

Bild 5: Anschlussterminal eines Lautsprechers bei dem Bi-Wiring möglich ist, hier das kleinste Modell der Serie 600 von Bowers & Wilkins. Die oberen Anschlüsse sind für die mittleren und hohen Frequenzen und die unteren Anschlüsse für die tiefen Frequenzen. Die Metallbrücken, welche hier zwischen den Anschlüssen sichtbar sind müssen bei Bi-Wiring entfernt werden.

Wichtig ist, dass wir die Brücken welche sonst zwischen diesen beiden Anschlüssen angebracht sind entfernen. Jetzt kann der signalstärkere Bass mit seiner auch starken Gegen-EMK im einen Kabel fliessen während die schwächeren Mittel und Hohen Frequenzen im anderen Kabel fliessen können, ohne von der starken Gegen-EMK erschlagen zu werden.

Es fliesst zwar in beiden Kabeln immer noch das ganze Frequenzspektrum zum Lautsprecher. Aber dadurch, dass in der Frequenzweiche des Lautsprechers die Bassfrequenzen abgeschnitten werden findet in diesem Bereich keine Interaktion mehr statt. Dies kann wieder mit unserem Strassenverkehrs Bild erklärt werden. Wenn alle, LKW, PKW und Fahrradfahrer je in einer eigenen Spur fahren und am Ende (Anschluss Lautsprecher) die LKW Spur einfach auf einen Parkplatz führt und der übrige Verkehr ungehindert weiter fahren kann, fliesst der Verkehr ruhiger und ungehinderter, hier natürlich zu den Lautsprecherchassis. Genauso verhält es sich mit den LKWs, wenn in diesem Bereich die Spur der PKWs und Fahrräder am Ende (Anschluss Lautsprecher) auf einen Parkplatz führt, kann der LKW Verkehr ungehindert weiterfliessen, auch hier wieder zu den Basschassis.

Bild 6: Auf zwei getrennten Spuren kann vor allem der PKW und Fahrrad-Verkehr ungehinderter fliessen, sprich der Mittel- Hochton wird nicht von der Bass Gegen-EMK erschlagen.

Bild 7: Bi-Wiring an einer Bowers & Wilkins 802 D.

Wie äussert sich das im Klangbild?

Dadurch, dass der Mittel- Hoch-Ton Teil in seinem eigenen Kabel ungestörter zum Lautsprecher gelangt, ohne von der Bass Gegen-EMK und der Bassintermodulation beeinflusst zu werden, weil in diesem Kabel keine Bassinteraktion mehr stattfindet, da diese Frequenzen von der Frequenzweiche im Lautsprecher abgeschnitten werden (Parkplatz), wird das Klangbild ruhiger, präziser, detaillierter und luftiger. Es gelangen mehr Feinheiten zum Lautsprecher. Dies ist der Zugewinn im Klang.

Worauf muss geachtet werden bei Bi-Wiring?

Ein wichtiger Punkt sind die verwendeten Kabel. Verwenden Sie qualitativ gute Kabel, keine nullachtfünfzehn Klingeldrähte. Bleiben Sie bei einem Kabelhersteller, mischen Sie nicht x verschiedene Kabel zusammen. Übrigens ist das Thema Kabel wiederum ein Spezialgebiet über welches man einen eigenen Artikel schreiben könnte.

Bi-Amping

Gehen wir jetzt noch einen Schritt weiter und nehmen zu unserer Stereo-Endstufe noch eine zweite dazu. So können wir beispielsweise eine Endstufe für die Bässe und die andere Stereo-Endstufe für die Mitten und Hohen Töne einsetzen. Dann haben wir den Effekt, dass die eine Endstufe mit den Bässen stärker belastet wird als die andere für die Mitten und Höhen.

Bild 8: Beim Horizontalen Bi-Amping wird eine Endstufe für die Bässe und die zweite für die mittleren und hohen Frequenzen verwendet.

Weil die Basschassis einen grösseren Hub machen und dadurch viel mehr Luft bewegen müssen um die Musik adäquat im Raum darzustellen, benötigen sie mehr Leistung vom Verstärker. Im Gegensatz zu den feinen und dificileren Mitten und Höhen. Auch die grosse Gegen-EMK der Bässe wirkt sich in der Endstufe nur noch auf die Bässe selbst aus und nicht mehr auf das ganze Frequenzspektrum.

Diese Art von Bi-Amping nennt man das horizontale Bi-Amping. Im Gegensatz zum vertikalen Bi-Amping.

Bild 9: Das vertikale Bi-Amping verwendet je eine Stereo-Endstufe pro Kanal.

Beim vertikalen Bi-Amping verwendet man eine Stereo-Endstufe pro Kanal. Hier wird aber das Stereopaar der Endstufen ungleich belastet, da der eine Kanal für die Bässe und der andere für die Mitten und Höhen zuständig ist. Auch die Gegen-EMK belastet dann beide Stereo-Endstufen gleichermassen, was eigentlich nicht erwünscht ist. Deshalb wird die vertikale Art nicht empfohlen.

Iedeal Gerätekombinationen für Bi-Amping

Eine HiFi-Vorstufe für Bi-Amping verfügt idealerweise über zwei Pre-Ausgänge entweder als Cinch oder als symmetrische XLR Anschlüsse ausgelegt, wie z.B. der Rotel RC-1590 Vorverstärker, dieser ist auch mit allen modernen digitalen Anschlüssen ausgestattet wie, PC-USB, SPDIF, Toslink und Bluetooth. Er verfügt aber auch über eine MM-Phonovorstufe. Somit ist er gerüstet für alle möglichen Zuspielgeräte.

Die für Bi-Amping idealen Endstufen sollten vom selben Typ sein, wie z.B. die Rotel Endverstärker RB-1582 MkII mit 2 x 200 Watt. Um ein klanglich homogenes Ergebnis zu erzielen sollte man nicht Endstufen von unterschiedlichen Herstellern verwenden. Weil dies durch individuelle Klangphilosophien und dadurch differierende Klangabstimmungen, aber auch durch unterschiedliche Gruppenlaufzeiten, wegen der nicht identischen Schaltungsaufbauten die Harmonie des Klangbilds stark beeinträchtigen kann. Für Bi-Amping sollte man nicht unterschiedliche Verstärker Konzepte mischen, wie Class AB und Class D Verstärker. Auch hier leidet dann die Ausgewogenheit des Klangs und würde den Zugewinn im klanglichen Bereich gleich wieder zerstören.

Bild 10: Rotel Vorstufe RC-1590 mit zwei Pre-Ausgängen und die beiden Endverstärker RB-1582MkII mit 2 x 200 Watt und RB-1590 mit 2 x 350 Watt.

Fazit

Beachtet man die in diesem Artikel besprochenen Punkte, Verwendung von qualitativ hochwertigen Kabeln, nicht gemischt von unterschiedlichen Herstellern und Modelle vom selben Hersteller und keine unterschiedlichen Verstärkerkonzepte, macht Bi-Wiring und Bi-Amping durchaus Sinn. Der höhere finanzielle Aufwand wird mit einem ruhigeren, präziseren, detaillierteren,  offeneren und räumlicheren Klangbild honoriert.

Konsequent richtig gemacht bringt Bi-Wiring und besonders Bi-Amping eindeutige Klangvorteile. Der Autor ist überzeugt, dass die negativen Klangbeschreibungen zum Thema effektiv vorhanden waren. Und man darf mit grosser Wahrscheinlichkeit annehmen, dass die im Artikel beschriebenen Fehler für den Missklang verantwortlich sind.