Analog Audio: veraltete Technik oder der einzig wahre Sound?

Erstellt von:
30 September 2015
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Wie würden Sie reagieren, wenn ihnen, bei Freunden zu Besuch, der neusten Kinofilm auf VHS-Kassette und Röhren-TV präsentiert würde? Dies mit dem Hinweis, diese Wiedergabequalität hätte mehr Emotionen und sei näher am wirklichen Leben. Vermutlich das Ende des Abends herbeisehnen und die Freunde in die Kategorie „skurril“ einordnen.

Übertragen wir diese eher befremdende Situation in den Audio Bereich, dann fällt das Urteil nicht mehr so vernichtend aus. Der analoge Sound hat doch was, was die digitale Variante nicht bietet. Ja, eine Fülle von Fehlern, die wir liebgewonnen haben, die uns vertraut sind und die wir nicht missen möchten. Wirklich?  Ist der analoge Sound tatsächlich der realen Klangwelt näher als die digitale Variante. Wenn wir die technischen Eckwerte betrachten, dann wird klar, dass das digitale Medium in allen Belangen eine viel präzisere Schallspeicherung ermöglicht. Nehmen wir ein paar Eckwerte zum Vergleich.

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* Theoretischer Wert. Meist wird bei der Schallplattenproduktion der Frequenzgang bei ca. 19kHz aus produktionstechnischen Gründen beschnitten und die Bässe unterhalb von knapp 100Hz auf mono geschaltet.
**Zahlreiche Verzerrungskomponenten lassen hier keinen typischen Wert zu, da dieser von zahlreichen Parametern und Feineinstellungen abhängt, wie Tonarmgeometrie, verwendete Tonzelle, Auflagegewicht, Tangensfehler, Klemmeffekt, Rillenradius, Einhalten der der RIAA Kennlinie bei Schnitt und Abtastung, Abschlussimpedanz und Kapazität usw.
*** Theoretischer Wert. Durch das physikalische Eigenrauschen der Elektronik ergibt sich ein Nutzwert im Bereich von 130dB.
**** Kopien auf digitaler Ebene ohne Konvertierung

Nur greift der Vergleich technischer Eckwerte zu kurz um zu verstehen, warum noch heute auf analoge Bänder aufgenommen wird (sieh Blogbeitrag zu Mark Knopflers Album Tracker) und Alben auf Vinyl-Schallplatte veröffentlicht werden. In einer von IT-Technologien dominierten Welt, findet die mechanische Schallspeicherung, die 1877 von Thomas Alva Edison erfunden wurde, immer noch kommerzielle Anwendung – wenn auch in einer Nische. Notabene einer Nische die nicht als museale Dampfeisenbahn daherkommt, sondern durchaus in Verbindung mit moderner Technologie.

Der analogen Tonaufzeichnung und Wiedergabe wird ein wärmerer Klang und grösserer Raum zugeschrieben. Die Anhänger dieses Klangideals beschrieben Digitaltechnik als kalt, harsch und weniger natürlich als das analoge Pendent. Mythos oder Realität? Subjektive Präferenz oder objektive Wahrnehmung? Wir vergleichen natürlich den heutigen Stand der beiden Technologien und nicht die Performance der Anfangszeit.

Fakt ist, dass die digitale Aufzeichnung eine massiv präzisere Schallaufzeichnung ermöglicht. Es hat auch keine Löcher und Treppen im zurück gewandelten Analogsignal, wie immer wieder behauptet wird. (Mehr Infos dazu) Dies bedeutet aber auch, dass Fehler bei der Mikrofonierung (Typenwahl, Standort bei der Aufnahme), bei der Abmischung, beim Mastering und bei der Wiedergabekette besser hörbar sind. Die analoge Technik maskiert Fehler eher. Ein besonderes Augenmerk verdient die Aufnahme Technik. Diese gestaltet sich bei Pop Produktionen komplett anders als bei Klassik Einspielungen, wo ausschliesslich akustische Instrumente zum Einsatz kommen. In der Regel wird bei Klassik der gesamte Klangkörper als Einheit zeitgleich (Orchester, Ensemble, Soloinstrument) in einem realen Raum aufgenommen. Die Aufnahmetechnik soll das akustische Abbild dieser Konstellation von Raum und Klangkörper einfangen. Bezogen auf den Standort der Hauptmikrofone steht jedes Instrument an einer definierten Position im Raum und in einem bestimmten örtlichen Bezug zu den anderen Akteuren. Stimmt die Aufnahme-, Verarbeitungs-, Transport- und Wiedergabekette, so entsteht im Hörraum ein akustisches Abbild der Situation im Aufnahmeraum. Instrumente und Stimmen sind genau dort ortbar, wo sie bei der Aufnahme im Raum standen, die Tonalität (Timbre) des Klangkörpers wird exakt reproduziert. Nichts kommt dazu, nicht wird weggelassen, der Klang nicht verfälscht. Allerdings ist eine 100% Präzision nicht realisierbar, da einige Faktoren nicht vollständig kontrollierbar sind. Und zuletzt drückt auch der Wiedergaberaum mit seinen akustischen Eigenschaften den von den Lautsprechern produzierten Schallwellen bis zu einem gewissen Grad seinen Charakter auf. Schallereignis und Aufnahmeraum ergeben somit das aufzuzeichnende Musiksignal.

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Raumbezogene Klassik-Aufnahme

Popmusik – eine andere Ausgangslage

Die Welt der Pop Musik und auch teilweise beim Jazz sieht ziemlich anders aus. Hier steht ein Mix von akustischen und elektronischen Instrumenten zur Auswahl. Die einzelnen Musiker sind nicht zwingend gleichzeitig im Aufnahmeraum. Zeitlich und räumlich getrennte Aufnahmesessions auf Mehrspur-Tonband oder Digital Audio Workstations sind eher die Regel als die Ausnahme. Diese beiden Umstände führen bei Pop zu einem gewaltigen Problem: die Rauminformation ist nicht vorhanden. Alle Instrumente sind quasi Mono auf einer separaten Tonspur vorhanden. Die Position der Instrumente und des Gesangs auf der virtuellen Bühne werden mit dem Panoramaregler am Mischpult festgelegt, der Raum wird künstlich mit Hall und DSP-Raumsimulation erzeugt. Ist bei Klassik die Versetzung des Zuhörers in den Aufnahmeraum das Ziel, erfolgt beim Pop Genre mit all seinen Untergruppierungen, eine quasi Versetzung des Schallereignisses in den Hörraum. Dies sind zwei fundamental unterschiedliche Ansätze, mit Konsequenzen für die gesamte Wiedergabekette.

Eine „trockene“ digitale Pop-Aufnahme, bei der die Mikrophone sehr nah an den akustischen Instrumenten aufgestellt wurden (close-miking), elektronische (E-Piano) und elektrische Instrumente (E-Gitarre) direkt ins Mischpult eingespeist werden, kann über ein sehr genaues Wiedergabesystem befremdlich klingen. Das Klangbild klebt an der Grundlinie zwischen den Lautsprechern, der Raum zwischen den Instrumenten ist kaum existent. Das Ganze wirkt unnatürlich. Hier kann die Zwischenspeicherung über ein analoges Medium den Höreindruck verbessern. Die Instrumente werden auf Grund der reduzierten Kanaltrennung breiter abgebildet, der nicht existente Raum dazwischen wird kleiner oder verschwindet gänzlich. Daher auch die oft gehörte Aussage von „analog hat mehr Raum“. Dies ist allerdings eine Fehlinterpretation: es wird nicht ein Mehr an Rauminformation erzeugt, sondern lediglich eine breitere Klangwahrnehmung ermöglicht. Die reduzierte Kanaltrennung bewirkt, dass gegenseitig Informationen aus dem einen Kanal in den Anderen übersprechen. Die klanglichen Differenzen der einzelnen Aufnahmemethoden und Speicherformate sind gehörmässig leicht nachvollziehbar. Wie das Gehörte dann beurteilt oder eingeordnet wird ist subjektiv und ist auch durch die jeweiligen Vorurteile geprägt.

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Aufnahme in einem stark bedämpften Raum, die Sänger haben weder optisch noch akustisch einen Bezug zueinander.

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Die Close-Miking Technologie zeichnet nur Direktschall auf.

So entscheidet jeder Hörer nach seinen persönlichen Präferenzen, welche Reproduktionsart (analog/digital) am ehesten seine Klangerwartungen erfüllt. Gewohntes wird gerne weiter geführt. Viele langjährige Hörer sind an einen eher breiten, warmen Klang gewöhnt. Warm = verhaltenes Obertonspektrum, weichere Konturen. Obertonreich sollte man aber nicht mit schrill, aggressiv verwechseln, sondern als detailreicher wahrnehmen. Auch Konzertsäle haben ihre Klangcharakteristik. Wer den Tonhalle Saal in Zürich mit dem KKL in Luzern vergleicht wird feststellen, dass die Tonhalle in den hinteren Rängen verschwommen klingt, eher „analog“, währen das KKL mit den verstellbaren Akustikpaneelen für Hörer innerhalb des Hallradius (Verhältnis Direktschall zu Indirektschall) eine sehr präzise Ortbarkeit der Instrumente und ein obertonreiches Spektrum liefert. Selbstverständlich lässt sich nicht jede Pop- oder Klassikaufnahme automatisch in die jeweilige Aufnahmekategorie einordnen. Ausnahmen bestätigen immer die Regel. Das Jazz Genre steht zwischen den beiden Extremen.

Fazit

Heute noch analoge Komponenten in der Aufnahme- oder Wiedergabekette einzusetzen kann durchaus Sinn machen. Dies aus subjektiven Gründen und Hörpräferenzen. Auch aus künstlerischer Sicht kann Analog-Sound eine kreative Komponente sein. Analog Freaks sollten aufhorchen, wenn sie hören, dass kaum ein rein analoger Workflow mehr existiert. Die Produktionstechnik ist de Facto digital, analog Sound wird mit Plug-Ins oder über den Umweg über eine Bandmaschine erzeugt (siehe CLASP). Wenn nun das digitale Medium die analoge Klangcharakteristik transportieren kann, umgekehrt aber das analoge Medium nicht die Präzision der digitalen Welt erhalten kann, dann dürfte die Faktenlage klar sein.

Die enorme Präzision die wir heute speziell mit HD-Audio erhalten erfordert eine sehr kritische Auswahl der Audio Bausteine für zu Hause. Besonders hochauflösende Lautsprecher, wie die neue Bowers & Wilkins Serie 800 D3 entlarven unsaubere Aufnahmen und Elektronik schonungslos. Wenn keine Nivellierung nach unten stattfindet, stellt sich Faszination über eine gelungene Darbietung ebenso ein, wie der Frust über eine mangelhafte Arbeit eines Aufnahmeteams.

To be continued…

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