Alles war schon mal da, nur anders. Wie sich Vergangenes in der Gegenwart wiederholt.

Erstellt von:
14 März 2016
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2.880 AUFRUFE

Ohne die Vergangenheit zu kennen, kann man die Gegenwart nicht verstehen. Im Dezember 1962 erscheint in der amerikanischen Fachzeitschrift Stereophile ein Artikel von J. Gordon Holt mit dem Titel „The Weakest Link“. Er beklagt sich über die Unsitte der Plattenhersteller die 1954 eingeführte Norm-EQ Kurve, die sogenannte RIAA Equalisation (RIAA Schneidekennline) bewusst zu manipulieren. Dadurch sollen ihre Platten auf den Boomboxen [sic] des Durchschnittskonsumenten – der in der amerikanischen Umgangssprache mit J.Q. Public oder Joe Average charakterisiert wird –  gegenüber der Konkurrenz attraktiver wirken. Auch im Jahr 2016 tricksen die Plattenlabels mit Soundmanipulationen um ihre Alben dem JQP-Kunden an der Konkurrenz vorbei schmackhafter zu machen. Nur sind die Werkzeuge dazu viel mächtiger als damals.

Missachtung einer Norm

Die hochwertige mechanische Schallspeicherung auf Vinyl ist keine triviale Angelegenheit. Seit Einführung der Schallplatte im Jahr 1887 wurde unablässig an deren Qualitätsverbesserung gearbeitet. Mit Einführung der genormten RIAA Schneidekennlinie 1954 und der Stereophonie 1957 war man wieder einen Schritt weiter in Richtung High Fidelity. Damit ein der menschlichen Hörfähigkeit entsprechender Frequenzumfang von annähernd 20 Hz bis 20 kHz auf einer Schallpatte mit ungefähr 20 Minuten Spielzeit gespeichert werden kann ist ein technischer Trick notwendig: Die Bässe werden beim Schneiden der Lackfolie zur Plattenherstellung pegelmässig stark abgesenkt und der obere Frequenzbereich stark angehoben. Abgesenkte Bässe benötigen weniger Platz auf der Folie, was eine längere Spielzeit ermöglicht. Und ohne Höhenanhebung wären die oberen Frequenzbereiche kaum reproduzierbar. Diese Pegelanpassungen werden bei der Wiedergabe im Phonovorverstärker wieder spiegelbildlich korrigiert und die Linearität ist wieder hergestellt.

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Die RIAA Schneidekennline (EQ Kurve) ist eine Filterkurve, die eine Bassabsenkung und Höhenanhebung bewirkt. Die Bassabsenkung ermöglicht eine längere Spielzeit und nur dank der Höhenanhebung lassen sich hohe Frequenzen auf der Vinyl Schallplatte speichern.

J.Gorden Holt thematisiert in seinem Artikel, dass die Schallplattenhersteller vermehrt die RIAA Normkurve bewusst manipulieren. Eine moderate Pegelanhebung um 5kHz lässt die Aufnahme brillanter erscheinen. Viele Musiktruhen, die J.G.Holt als Boomboxen bezeichnet, waren von minderer Qualität und hatten oft noch Verstärker ohne RIAA Korrekturkurve. Korrekt geschnittene Schallplatten klingen dann auf solchen Geräten schrill und Bass arm. Da wird dann fleissig die RIAA Kurve manipuliert, damit die Platten auf den Massengeräten besser klingen, denn mit der Masse kommt das grosse Geld. Der Durchschnittskunde ohne Hörerfahrung findet Gefallen am verbogenen Klang. Aber auf guten Anlagen machen sich solche Manipulationen negativ bemerkbar. Sie klingen dumpf und Bass betont.

In den frühen 60er Jahren lancierte der einflussreiche Produzent Phil Spector eine „Back to Mono“ Kampagne. Scheinbar sah er in der Mono-Technik seine Klangvorstellungen besser verwirklicht,  empfand er die frühen, bei weitem nicht optimalen Stereoaufnahmen nicht als Klangfortschritt. Vielleicht war das Problem einfach nur das neue, ungewohnte Klangbild, das zunächst irritierte und an das man sich zuerst herantasten musste. Irgendwann gegen Ende des Jahrzehnts sah Phil Spector dann wohl ein, dass perspektivisches Sehen nur mit zwei Augen funktioniert und richtungsorientiertes Hören zwei Ohren voraussetzt.

Das neue Millenium

Neu Technologien bringen neue Möglichkeiten um letztendlich das gleiche Spiel von vorne zu beginnen. Mit Einführung der CD, respektive der Digital Audiotechnik standen schlagartig 35dB mehr Dynamikumfang und eine Kanaltrennung von 96dB zur Verfügung. Man hatte ein Medium das keine Auflösungsprobleme gegen Plattenende hat. Man konnte die absurdesten Pegel und Manipulationen machen, das Medium schluckte alles und den Konsumenten gefiel der druckvolle Sound. Der Loudness War (Lautstärke Krieg) begann schleichend. Die Radiostationen verlangen pegelmässig angepasste Musikstücke. Wer möchte schon sein Radio im Hintergrund dauernd lauter oder leiser stellen, nur weil sich die Lautstärke bei jedem Titelwechsel ändert. Aufgrund der menschlichen Hörwahrnehmung werden lautere Musikstücke als ansprechender, gefälliger, eindrücklicher empfunden. Erst ab einer gewissen Lautstärke hören wir alle Frequenzbereiche annähernd gleich laut. Bei geringerer Lautstärke wird der mittlere Frequenzbereich besser wahrgenommen, das Klangbild wirkt dünner, weniger brillant und detailreich.

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Fletscher-Munson Kurve der Hörempfindlichkeit. Das menschliche Gehör ist nicht linear empfindlich. Je nach Lautstärke werden die hohen und tiefen Töne gehörmässig weniger laut wahrgenommen. Je tiefer die Wiedergabelautstärke, desto mittenbetonter wird das Klangbild wahrgenommen. Dies ist der Grund warum wir lauter als klanglich besser wahrnehmen.

In der ersten Phase drehten die Produzenten die Lautstärkereger am Mischpult hoch. Das neue Medium CD erlaubte kräftigere Pegel abzumischen als die fragilere Schallplattentechnik. Nur über digital Null durfte das Ganze auf keinen Fall gehen – was schlagartig massive Verzerrungen zur Folge hätte. Aber man hatte ja Limiter, die ein Signal abwürgten, sobald es drohte über digital Null hinausgehen zu wollen. „Loud sells better“ – laut verkauft sich besser war die Devise, primär im Pop Bereich und dominant im Mainstream. Dreht der Eine auf, macht es ihm der Andere bald gleich. Es beginnt die gleiche Spirale wie in den 60er Jahre mit der RIAA Kurve zu drehen, nur diesmal mit der Lautstärke. Lauter und lauter bis an den Anschlag. Nun folgt der nächste Schritt: Dynamikkompression. Laute Passagen werden leiser gemacht und leise Passagen lauter, danach wird das nun schmalere Dynamikband pegelmässig nach oben geschoben. Der Klang wird noch dichter, noch druckvoller. Wieder zielt das Ganze auf Wiedergabegeräte einfacherer Bauart und Qualität ab. Man kann ja inzwischen Musik sogar mit seinem Handy und kleinen Kopfhörern hören. Leidtragend ist wieder die kleine Gruppe anspruchsvoller Hörer mit ihren Audiosystemen der Premium- und der Spitzenklasse.

Ein rein analoges Medium setzt solchem Treiben eine natürliche Grenze auf Grund der technischen Limiten. Extreme Dynamikkompression wie bei der CD geht mit Vinyl nicht. Es verwundert daher nicht, dass nicht selten die Vinyl Variante eines Albums dank mehr Dynamik und somit mehr Feinheiten besser klingt. Und wieder setzt ein Retrotrend ein: Back to Vinyl.

Es gibt Bemühungen der absurden Dynamikkompression zu entsagen. Diese heftige Signalmanipulation und Klangverschlechterung wird zunehmend kritisiert. Bei allen Produzenten ist diese Kritik aber noch nicht angekommen. Am Ende wurde dann die RIAA EQ Kurve respektiert und eingehalten. Es bleibt zu hoffen, dass auch der Loudness War eines Tages nur noch Geschichte ist.
Siehe auch Blogs Dynamikkompression und High Res Audio: Dichtung Wahrheit Nr.2

Fazit: Geschichte wiederholt sich. Technische Entwicklungen und Errungenschaften wurden und werden immer wieder missbraucht,  respektive oder nicht im Sinne der ursprünglichen Idee und Produktentwicklung verwendet. Wer dann aber daraus eine Überlegenheit früherer Technologien ableitet, ignoriert die technisch mathematischen Fakten.

Link zum Artikel von J. Gordeon Holt / Stereophile 

Noch was zum Abschluss: Auch in den 60er Jahren gab es schon High End Audio – wenn auch nicht genau in dem Sinn, wie wir das Thema heute verstehen. Dies mag erstaunen, kamen doch fast alle heute in den Läden anzutreffenden High End Marken in den 70er und 80er Jahren auf den Markt. Ein grosser Teil der HiFi Pioniere aus den 50er Jahren haben nicht überlebt oder gingen durch Firmenübernahme in Plastik-Audio über.

Hier die absolut futuristische Fernseh-Stereo-Konzerttruhe Komet 1223SL, die zwischen 1957 und 1961 von der Firma Kuba in Wolfenbüttel hergestellt wurde. Eine für die damalige Zeit gewagte „Systemanlage“. Das Design kann als futuristisch und eigenwillig bezeichnet werden. Heute ist dieses Design ein Dokument für den ungebremsten Optimismus der Wirtschaftswunderjahre und mutige Designkunst. Das Gerät kostete 1961 2785.- DM. Wenn man bedenkt, dass das durchschnittliche Jahreseinkommen in Deutschland oder der Schweiz damals bei rund 6000.- DM lag, dann haben wir mit dem Komet 1223 SL wahrlich ein High End Gerät. Das Tonband war eine Option gegen Aufpreis, ebenso die Fernbedienung! Total waren 8 Lautsprecher eingebaut, davon zwei frontstrahlende Hornlautsprecher. Der obere Gehäuseteil mit dem Fernseher war schwenkbar.

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Komet 1223 SL (1957 -1961)

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