Die stille Revolution – Wo Klangqualität entsteht oder den Bach runter geht

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13 Dezember 2017
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Kreatives und restauratives Mastering wurde im vorherigen Blog Artikel kurz erwähnt. Auch, dass die Sache mit dem Originalklang irreführend sein kann. Tauchen wir noch etwas tiefer in diese Thematik ein, auch anhand eines überarbeiteten Albums aus dem Jahr 1976.

Mit moderner Audiotechnik auf der Aufnahme- wie Wiedergabeseite lässt sich heute ein Klangereignis extrem präzise aufzeichnen, speichern und wiedergeben. Um dies zu erreichen müssen auch keine Unsummen mehr eingesetzt werden – auf keiner Seite der Audiokette. Dennoch sank die akustische Qualität der kommerziellen Alben im Pop- und teilwiese im Jazz Bereich in den letzten Jahren im Mittel kontinuierlich. Im Kontrast dazu überbietet sich die Audioindustrie in der digitalen Domäne mit Superlativen durch immer höhere Samplingraten oder neue Audioformate. Auch die Liebhaber des Analogen sehen Plattenlaufwerke mit immer bombastischeren Ausmassen und Preispunkten auf dem Markt. Alles gut und Recht, aber eine entscheidende Schaltstelle für hohe Klangqualität liegt heute im Mastering Studio! Hier vollzog sich in den letzten Jahren eine stille Revolution. Die neuen Technologien lassen sich vielfältig einsetzen – zum Guten wie zum Schlechten.

Mastering – die Kunst der Klanggestaltung

Beim Mastering werden die in der Aufnahmesitzung entstandenen Rohdaten zu einem fertigen, kopierfähigen und verkäuflichen Produkt weiterverarbeitet. Das Bearbeiten der Rohdaten umfasst eine Vielzahl von unterschiedlichen Arbeitsschritten, abhängig vom Ausgangsmaterial, den Zielvorgaben für das Endprodukt und letztendlich auch den technischen Umgebungsvariablen. Das gesamte Herstellungsspektrum reicht vom präzisen erfassen eines ganzheitlichen Schallereignisses mit nachträglicher Feinkorrektur bis hin zum Sound Design. Hier wird aus Einzelfragmenten und Sound Samples etwas komplett Neues geformt. Es entsteht ein Endprodukt, das in der realen Akustikwelt (der Musiker) nie existiert hat. Eine arbeitstechnische oder konzeptionelle Unterteilung erfolgt in korrektives, kreatives und restauratives Mastering. Die Übergänge sind allerdings fliessend und als Nebenaspekt kommt destruktives Mastering hinzu.

Eine einfache Analogie zum gesamten Prozess wäre ein Hausbau. Dabei hat das Aufnahmeteam die Ziegelsteine für den Hausbau so genau und gleichmässig wie möglich zu fertigen. Die Ziegelsteine werden dann vom Bauteam (Toningenieur am Mischpult), unter Anleitung des Architekten (Produzenten) der die Baupläne hat, zu einem Haus zusammengesetzt. Je ungleichmässiger die Ziegelsteine angeliefert werden, desto schwieriger wird die Arbeit des Bauteams, umso mehr Anpassungsarbeiten fallen an.

Bild 1: Heute üblicher Aufnahme-, Mix- und Mastering-Prozess mit Digital Audio Workstations (DAW) und digitalen Mastering Tools.

Bild 2: Aufnahme-, Mix- und Mastering-Prozess mit analogem Equipment. Dazu zählen neben Tonbandgeräten auch analoge Mastering Geräte, wie Equalizer, Kompressoren usw.

Grundsätzlich sind auch Mischformen der beiden im Bild 1 und 2 gezeigten Blockgrafiken möglich, indem zwar mit einer DAW digital gearbeitet wird, aber die digitale Domäne mittels D/A-A/D-Wandlung verlassen wird, um Zwischenschritte in der analogen Domäne zu machen. Beispiel: Mark Knopfler – Tracker: digitale Analog-Aufnahme

Der Masteringprozess hat sich in den letzten 40 Jahren enorm verändert. Einerseits haben sich die technischen Möglichkeiten mehr als nur revolutioniert. Andrerseits haben sich der Musikbetrieb, die Musikproduktion, Stile und Werkinterpretationen in allen Genres (Pop, Jazz, Klassik) drastisch verändert. Und nicht zuletzt auch die Form des Musikkonsums – Stickworte sind Mobile Audio und High End Audio, MP3 und Hi-Res-Audio und nicht zuletzt der Vinyl Retrotrend.

In den rein analogen Zeiten der 70er Jahre standen dem Mastering Ingenieur, im Vergleich zu heute, nur spärliche Mittel zur Nachbearbeitung zur Verfügung. Auch die Wiedergabetechnik war noch nicht auf dem heutigen Stand. In der Regel wurde auf Tonband aufgezeichnet. Mit dem Urband wurde nicht gearbeitet. Für die Nachbearbeitung wurde eine Arbeitskopie angelegt, was schon mal den Signal Rauschabstand verschlechterte. Das Produktionsmaster war dann im besten Fall die dritte oder vierte Kopie. Mit der damaligen Technik waren Nachbearbeitungen in der ersten und zweiten Dimension möglich.

Was bedeutet Mastering in drei Dimensionen?

Antwort: Die Signalbearbeitung (Mastering) erfolgt dynamisch mit allen Klangelementen gleichzeitig – Frequenz, Amplitude und Zeit.

Erste Dimension: Copy/Paste – zur Zeit der rein analogen Audiotechnik ein oft eingesetztes Verfahren, indem man ein Stück aus einem Tonband in ein anders einsetzt um den Spielfehler eines Musikers oder einen anderen Mangel zu korrigieren. Eine komplette Sequenz (Amplitude, Frequenz und Zeit) wird ausgetauscht. In diese Kategorie gehören auch Änderungen, z.B. der Lautstärke oder Zeitdehnung, die über die gesamte Spielzeit des Stückes wirken.

Zweite Dimension: Ein Equalizer ist der typische Vertreter in dieser Kategorie. Ein Element (Amplitude = 1. Dimension) wird verändert, aber nur in einem bestimmten Bereich (ein Teil des Frequenzspektrums = 2. Dimension), aber gleichbleibend über die gesamte Spielzeit des Stückes.

Dritte Dimension: (Spectral Editing) hier wird’s spannend indem alle drei Achsen des Klangsystems, also Amplitude, Frequenz und Zeit verändert werden.

Wird nun der Pegel (Amplitude) und der Frequenzbereich nur in einem bestimmten Zeitfenster verändert oder zwei Grössen in Anhängigkeit der Dritten (automatisiert) geregelt, dann sprechen wir vom Arbeiten in drei Dimensionen. Für das Equalizer Beispiel oben bedeutet dies, dass die Änderung der Amplitude des betreffenden Frequenzbereiches nur in einem zeitlich begrenzten Fenster stattfindet. Dies kann auch in Abhängigkeit vom Gesamtpegel oder anderen Faktoren des Musikstückes passieren.

Die Anpassungen erfolgen dabei dynamisch und in der Regel automatisiert, anhand der vom Mastering Ingenieur eingestellten Parameter. Diese Art der Klangbeeinflussung oder Manipulation ist erst mit der Digitalisierung (DAW & Plug Ins, Mastering Tools) wirklich und umfassend realisierbar. Knackgeräusche einer digitalisierten Vinyl LP lassen sich so quasi chirurgisch entfernen. Dies heisst einen extrem kurzzeitigen, hochfrequenten Störimpuls aus dem Signal entfernen und die dabei entstehende Lücke mit Informationen füllen, die aus den Bereichen vor und nach dem Störimpuls stammen. Es versteht sich, dass dies erhebliche Rechenleistungen voraussetzt, die aber heute problemlos zur Verfügung stehen. Huster, S-Zischlaute, Rauschen oder Umweltstörgeräusche lassen sich so effektiv unhörbar machen, ohne das Nutzsignal zu beeinträchtigen. Nun, 100% verlustfrei geht das natürlich nicht in jedem Fall, dennoch überwiegen die klanglichen Vorzüge der korrektiven und restorativen Mastering Tools.

Zusammengefasst stehen dem heutigen Mix- und Mastering Ingenieur eine enorme Vielfalt von Werkzeugen zur Klangbeeinflussung, Korrektur und Gestaltung zur Auswahl, die noch vor wenigen Jahren nicht oder nur ansatzweise zur Verfügung standen. Und dies in zwei Bereichen:

  1. Analyse > ein Klang kann – neben dem Ohr – nach unterschiedlichen Kriterien technisch analysiert, dargestellt und beurteilt werden.
  2. Werkzeuge > die Erkenntnisse und Ziele, die man aus der Analyse abgeleitet hat, lassen sich mit präzisen Werkzeugen umsetzen und abschliessend gehörmässig beurteilen.

Hier einige Beispiele von Analyse- und Bearbeitungswerkzeugen. Weiter unten der Kommentar zu vier Titeln aus dem Jethro Tull Album „Songs from the Wood“ in unterschiedlichen Veröffentlichungen (Original 1976, Wilson Remaster 2016, CDs aus den Jahren 2003, 2007).

Bild 3: Frequenzspektrum in der Spektralanalyse (linker Bildteil) und Fourier Transform. Die visuelle Beurteilung über den ganzen Musiktitel ist sehr aufschlussreich. Zudem ermöglichen solche Analysemittel objektivere Resultate als bei ausschliesslich geöhrmässiger Beurteilung, da keine (akustische) Wiedergabekette und Raumakustik beeinflussend mitwirken.

Bild 4: Direkte Bearbeitung im Spektralfenster durch Auswahlwerkzeug (weisser Rahmen um gelbe Wellenlinie) im rechten Kanal. Der linke Kanal ist ausgeblendet (obere, graue Hälfte), d.h. die Bearbeitung erfolgt nur im rechten Kanal.

Bild 5: Signalwellenform (Hüllkurve) – Hier lassen sich gezielt kleinste Fragmente ausschneiden, kopieren und einsetzen (Mastering in der 1. Dimension).

Bild 6: Ein Dynamischer Equalizer erlaubt Bearbeitungen der dritten Dimension. Das technische Verhalten des EQ kann durch mehrere Parameter festgelegt werden, wie z.B. ab welchem Pegel der EQ wirken soll (Threshold). Mit der Analog/Digital Auswahl werden Klangeigenschaften des EQ-Filters definiert (Analog = Minimal Phase Filter / Digital = Linear Phase Filter).

Bild 7: Mit dem Ozone Imager kann die Stereobreite erweitert oder reduziert werden. Die visuelle und akustische Rückmeldung sind Grundlage für den optimalen Einsatz dieses Werkzeugs. Mit dem Bypass Schalter kann der Effekt ein- und ausgeschaltet werden, die Veränderung mit dem Original verglichen werden. Interessant sind die Voreinstellungen (Presets). Die heutige Technik erlaubt es ein bestimmtes Spektrum oder Element – z.B. Stimmen – innerhalb eines Musikstücks gezielt zu bearbeiten. Im abgebildeten Beispiel wird die Gesangsstimme auf der Links-Rechts-Achse breiter abgebildet.

Bild 8: Spectral Shaper

Seit kurzer Zeit sind Spectral Shaper verfügbar, so nun auch in der neuen Ozone 8 Suite von iZotope, die Firma erläutert diese Technologie wie folgt:

«Bei Breitbandfiltern wirken die Filtereigenschaften über ein ganzes Spektrum (Frequenzbereich – Anm. d. Autors), auch wenn die Spitzen (Verzerrungen, Überzeichnungen – Anm. d. Autors) nur in einem begrenzten Frequenzbereich auftreten. Mit Spectral Shaping (spektrale Formung) werden die Bereiche mit den meisten Verzerrungen/Überzeichnungen erkannt. Dies ermöglicht die Limiter/Filter nur in engen Bereichen wirken lassen und nur wenn diese Spitzen auftreten. Spectral Shaping ist eine neue Form von dynamischem Signalprozessing, mit der die tonale Balance von Instrumenten und Stimmen beeinflusst, verbessert werden kann, was bisher mit herkömmlichen Limitern und Equalizern nicht möglich war ».

Spectral Shaping analysiert ein bestimmtes Frequenzspektrum, welches in 32 Bänder unterteilt wird. Dabei wird jedes dieser 32 Segmente unterschiedlich bearbeitet, dies mit einer Form von subtiler Dynamikkompression, mit individuellen Zeitkonstanten und mit vom Eingangssignal abhängiger, automatischer Ansprechschwelle.

Bild 9: Ozone Vintage Tools. Die klanglichen (Filter) Eigenschaften von analogen Geräten werden so nachgebildet. Wie ist das möglich? Analoge und digitale Systeme können technisch durch vier Faktoren umfassend beschrieben werden: a) Frequenzgang b) Verzerrungen, c) Rauschen und d) zeitbasierte Fehler. Diese vier grundlegenden Eigenschaften prägen primär den Klang eines Gerätes oder ganzen Wiedergabesystems und können mit den Vintage Tools nachgebildet werden.

Remaster – besser oder schlechter als das Original?

Betrachtet man diese Entwicklungen im Studiobereich, dann ist es nicht erstaunlich, dass in den letzten Jahren vermehrt Bänder erfolgreicher Alben aus der analogen Ära aus den Tresoren der Labels hervorgeholt wurden und als HD-Remaster erneut auf den Markt gebracht werden. Mit den neuen Tools lassen sich die Limitierungen der analogen Technik teilweise ausmerzen, nicht ganz gelungene Aufnahmen in Grenzen verbessern und bisher verborgene oder kaum wahrnehmbare Details hörbar gemacht werden. Die Klangbalance lässt sich korrigieren, die Stereobasis und der Raumeindruck optimieren. Nur verfolgt nicht jeder Produzent diese hehre, audiophile Zielsetzung. Oft geht es einfach darum, ein Album erneut promoten zu können = nochmals zu verkaufen. Es gibt vermutlich mehr Beispiele von destruktivem als restaurativem Re-Mastering. Das sind Reissues die lediglich auf laut und dynamikarm gemacht sind = Loudness War (Hinweise auf frühere Blogs zum Thema HD-Remaster und Loudness War finden Sie am Ende des Artikels).

Steven Wilson Remix von Jethro Tulls „Songs from the Wood“

Wie sich gelungenes, restauratives Remastering anhört, kann an der Arbeit von Steven Wilson exemplarisch aufgezeigt werden. Wilson hat zahlreiche Jethro Tull Alben, aber auch Alben von Bands, wie Yes, XTC, King Crimson, Chicago, Emerson, Lake & Palmer u.a. nachbearbeitet. Die Jethro Tull Remixes wurden als aufwändige Reissues mit mehreren Discs und 96 seitigem Booklet veröffentlicht. Neben 24/96 Remixes/Re-Masters (auf Audio DVD im Hi-Res-Format und auf CD) sind auch 5.1 Surround Remixes und Konzertmitschnitte enthalten. Besonders wertvoll sind auch die Flat-Transfers der originalen Master aus den Entstehungsjahren der Alben (im 24/96 Format auf DVD). So lässt sich die Arbeit von Steven Wilson genau nachverfolgen und beurteilen.

Bisher veröffentlichte Jethro Tull Alben der Wilson Remix Reihe:

Interessant sind die beiden Aqualung Veröffentlichungen von 2011 — die 40th Anniversary Edition, damals als Einzel-CD mit Bonus Tracks erschienen — und das 2016 Remaster. Wilson erwähnt in diesem Zusammenhang, dass über die Jahre gesammelte Erfahrungen und Einsichten in der 2016 Version als Verbesserungen gegenüber der 2011 Version eingeflossen sind.

Wilson verwendet, wenn immer möglich, die originalen Mehrspurbänder, was einen 2.0 und 5.1 Remix für ermöglicht. Beim 5.1 Mehrkanal-Mix geht es darum die Rauminformationen besser hörbar zu machen. Also kein Re-Mix bei dem Instrumente aus allen Kanälen den Hörer rundum bespielen. > Mittendrin oder nur am Rande dabei? Quadrophonie Revival

Bild 10: 2017 „The Country Set“ 5-Disc Edition mit 96 seitigem, reich bebildertem Textteil

Songs from the Wood ist das zehnte Jethro Tull Studioalbum und gilt als erstes Album der Folkrock-Phase der englischen Band. Es enthält Jethro Tull typische Elemente des Progressive Rock. Die Texte handeln von „Liedern aus dem Wald“, naturnahem Leben und beziehen auch auf Motive alter englischer Volkslieder. Aufnahme: September – November 1976 in den Morgan Studios, London.

Vergleich Remaster, Original Master und CDs aus den 00er Jahren

Songs from The Wood

Original Flat Transfer 1976 DR13* │Replay Gain** -1.12 dB
Wilson 2016 Remix DR11 │Replay Gain -4.86 dB
Digital Remaster 2003 CD Songs from the Wood DR8│Replay Gain -7.89 dB
CD The Very Best 2001 DR12 │Replay Gain -0.82 dB

* DR = Dynamic Range – Dynamikumfang (Mehr…), ** Differenz (Lautstärkeunterschied) zur Referenzlautstärke für die Lautstärkenormalisation (Mehr Infos zum Thema).

Bild 11: Track „Songs from The Wood“: Original Transfer – Master von 1976 mit deutlich tieferer Lautstärke, aber gutem Dynamikumfang, der rund 5 DR-Werte besser ist, als dass was wir heute mehrheitlich vorgesetzt kriegen.

Bild 12: Track „Songs from The Wood“ auf der Best of Tull CD von 2001 – Überspielung des Original Masters, ohne Bearbeitung. Klingt gleich wie Wilsons Flat Transfer.

Bild 13: Track „Songs from The Wood“ von der Songs from The Wood CD von 2003 –  erstes digital Remaster. Hier tobt der Loudness War. Die Dynamik ist um 5 DR-Werte geringer als das Original. Auch die spektrale Energieverteilung (orange gefärbte Anteile) weist auf destruktives Mastering hin.

Bild 14: Track „Songs from The Wood“ Steve Wilson Remix von 2016. Die Lautstärke wurde auf einen idealen Wert für ein digitales Format angehoben = optimale Ausnutzung der Bit-Architektur. Die spektrale Verteilung und der DR-Wert bleiben nahe am Original.

Bild 15: Track „Songs from The Wood“. Das Polardiagramm zeigt die Energieverteilung auf der Links- Mitte- Rechts-Achse (von oben betrachtet). Die beiden Screenshots bilden den gleichen Zeitpunkt ab und erlauben den Vergleich zwischen Original und Steven Wilsons Nachbearbeitung. Der vertikale Ausschlag zeigt mittig wahrgenommener Schall – im Bild 15 Ian Andersons Gesang und die ab 0:34 Sekunden einsetzende Flöte (Bild 16). Die beiden horizontalen Keulen repräsentieren die links und rechts der Mitte hörbaren Signalanteile – die beiden Männerstimmen der Chorpassagen, Hallanteile und Instrumente.

Wir sehen im Remaster ein deutlich besseres Verhältnis zwischen der Hauptstimme (Ian) und den beiden Nebenstimmen. Dies in Bezug auf die Lautheit und die Positionierung auf der Raumachse.

Wer das 5-Disc-Bundle besitzt und das selber gehörmässig nachvollziehen möchte, kann anhand des Textes die Diagramme (Bilder 15, 16 und 17) der Musik zuordnen (blau markierte Textstelle – die Sekunden Angaben beziehen sich auf die Spielzeit des Wilson Remasters.

 

Let me bring you songs from the wood (Bild 15, 0:03 Sek.)
To make you feel much better than you could know
Dust you down from tip to toe
Show you how the garden grows

Bild 16: Track „Songs from The Wood“. Einsatz Flöte (0:34 Sek.)

Bild 17: Track „Songs from The Wood“. Gesang, Flöte, Gitarre

Let me bring you love from the field
Poppies red and roses filled with summer rain
To heal the wound and still the pain (Bild 17, 0:51 Sek)
That threatens again and again

Bild 18: Track „Songs from The Wood“. Hier zum Vergleich zu Bild 17 das Polardiagram des ersten Digital Remasters von 2003, wieder die Textstelle … and still the pain. Das Ganze ist einfach nur lauter, aber restauriert, respektive verbessert wurde nichts. 

Mit Ozone 8 Suite steht auch ein neues Analysewerkzeug zur Verfügung: Tonal Balance Control. Damit kann die tonale Ausgewogenheit des Klagbildes beurteilt werden, das Verhälnis zwischen Tiefbass, Bass, Mittellagen und Obertonspektrum. Die spektrale Energieverteilung eine Stückes wird mit einem Referenzband verglichen, das sich aktuell auf drei unterschiedliche Musikspektren bezieht: bassbetonte Musik, moderne Musik und Orchestermusik.

Bild 19: Track „Songs from The Wood“. Die weisse Linie zeigt die spektrale Energieverteilung des Bandmasters aus dem Jahr 1976 (original Transfer). Im Idealfall bleibt die weisse Line im grünlich hinterlegten Referenzbereich.

Bild 20: Track „Songs from The Wood“. Das Steve Wilson Remaster 2016 zeigt einen ausgewogeneren Energiemix, vor allem im Bass. Die Senke im Bereich um 1000 Hz ist immer noch vorhanden, was zeigt, dass Wilson versucht nahe am Original zu bleiben, im Gegensatz zum ersten Remaster von 2003 > nächstes Bild.

Bild 21: Track „Songs from The Wood“. Erstes Remaster von 2003. Wow, man sieht deutlich, wie im gesamten Spektrum herumgearbeitet wurde – in typisches Loudness War Produkt.

Für die folgenden Titel des Albums Songs from the Wood treffen die oben gemachten Aussagen mehrheitlich ebenfalls zu. Hier einige Stichworte zum Höreindruck.

Jack in the Green

Original Flat Transfer 1976 DR13 │Replay Gain +1.12 dB

Andersons Stimme ist über weite Teile gleichzeitig im linken und rechten Kanal hörbar (künstlerischer Entscheid, etwas irritierend). Leicht überzeichnete Höhen, aber schöne (künstliche?) Räumlichkeit. Bass wenig prägnant.

Wilson 2016 Remix DR15 │Replay Gain -0.84 dB

Weniger höhenbetont und weniger Räumlichkeit. Bass leicht prägnanter und fokussierter. Die „L-R-Irritation“ wurde reduziert, der L-R-Bezug bleibt aber bestehen.

CD digital Remaster 2003 Songs from the Wood DR10 │Replay Gain -5.47 dB

Die L-R-Problematik wurde nicht angegangen, aber durch die Dynamikkompression noch akzentuiert. Der Bass ist deutlich kräftiger, das Ganze tonal unausgewogen.

CD The Best of Acoustic 2007 DR10 │Replay Gain -3.42 dB

Ist tonal gleich, wie die 2003 CD und wurde offensichtlich nur im Pegel an die umgebenden Titel der Kompilation angepasst.

blank

Ring Out Solstice Bells

Original Flat Transfer 1976 DR11 │Replay Gain -1.11 dB

Andersons Stimme wird breit abgebildet, eher flaches Klangbild mit ausgeprägtem Links-Rechts-Bezug

Wilson 2016 Remix DR10│Replay Gain -6.24 dB

Andersons Stimme ist weniger aggressiv, da die Höhenbetonung korrigiert wurde. Die Stimme ist optimaler im Raum positioniert. Die starke Links-Rechts-Abmischung wurde leicht reduziert.

CD digital Remaster 2003 Songs from the Wood DR10 │Replay Gain -6.51 dB

Tonal unausgewogen, deutlich höhenbetont. Die L-R-Problematik des Originals wurde nicht angegangen

CD Christmas Album 2003 DR7 │Replay Gain -8.43 dB

Die Aufnahme stammt nicht vom 1976er Band, sondern ist Neueinspielung des Stücks von 2003, mit leicht veränderter Instrumentierung und Komposition.

blank

The Whistler

Original Flat Transfer 1976 DR12 │Replay Gain -1.42 dB

Sehr ausgewogenes Klangbild für die damalige Zeit. Etwas dünner Klang. Andersons Links-Rechts Gesangsdialog macht hier Sinn, da eher alternierend wahrnehmbar und textbezogen. Raumeindruck der Stimme über Lautsprecher oder Kopfhörer variiert stark.

Wilson 2016 Remix DR10 │Replay Gain -6.81 dB

Folgt dem Klang des Originals, etwas weniger höhenbetont. Akustische Gitarren mit mehr Obertonspektrum. Wirkt subjektiv dynamischer, trotz des um 2 Einheiten tieferen DR Wertes. Dies vermutlich auf Grund des kräftigeren Basses und der prägnanteren Gitarren.

CD digital Remaster 2003 Songs from the Wood DR10 │Replay Gain -7.52 dB

Höhenbetont, wie das Original. Durch die Dynamikkompression klingt es noch spitzer, nerviger. Die akustischen Gitarren wirken gepresst und unsauber im Vergleich zum Wilson Remaster.

CD The Very Best 2001 DR12 │Replay Gain -1.88 dB

Ist identisch mit dem 1976 Original Transfer

Bild 22: Track „The Whistler“ – Original Transfer 1976

Bild 22: Track „The Whistler“ – Wilson Remaster 2016

Bild 24. Track „The Whistler“ – CD Songs from the Wood 2003

Fazit 1

Die CD Ausgabe von 2003 und die Auskoppelungen einzelner Titel für die Kompilationen von 2001, und 2007 des 1976er Jethro Tull Albums gehen die Problemzonen des Originals nicht an. Entweder wird das 76er Master einfach auf CD überspielt oder man drückt dem Original den Loudness War Stempel auf = destruktiv. Steven Wilson verfolgt den restaurativen Weg. Ein 1976 erstelltes Master spiegelt die Möglichkeiten der damaligen Technik, das Zielmedium war die Vinyl LP. Das Master muss die technischen Gegebenheiten der LP berücksichtigen: Bass reduzieren, Höhen anheben und die im Vergleich zum Tonband rund 10 dB geringere Kanaltrennung von rund 22dB einkalkulieren. Wilson gelingt es die tonale Balance zu verbessern und Details deutlicher zum Klingen zu bringen.

Fazit 2

Moderne Mastering Tools bieten enorme Möglichkeiten klanglich herausragende Alben zu produzieren. Es liegt in der Hand der Akteure, was sie mit den Werkzeugen anstellen – konstruktiv oder destruktiv. Aber auch welche ästhetischen Vorstellungen und Vorlieben über Klang und Klangqualität vorherrschen. Was bleibt nun dem Endnutzer, dem Musikliebhaber als Beurteilungskriterium? Keine einfache Frage, aber ein Thema für einen weiteren Artikel.

Wiedergabesystem

 
Lautsprecher Bowers & Wilkins 802D3 & DB2D
Endverstärker Classé Sigma mono
Vorverstärker / D-A-Wandler Classé CP-800
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Kopfhörer Bowers & Wilkins P9